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„Mit mir für Spremberg“
Porträtserie zum 75. Geburtstag von Egon Wochatz. Teil 2: Vom Altersheim ins Rathaus

Spremberg (mk). „Ich muss da raus. Ich muss zur Ruhe kommen“. Das sind Egon Wochatz Gedanken, als er im Jahr 1980 Abschied vom Lehrerberuf nimmt. Die Scheidung liegt in der Luft. Er muss sein Alkoholproblem in den Griff bekommen. Das Verlassen des Schuldienstes wirft jedoch eine Frage auf: „Was nun?“ Der damals 44-Jährige muss sein Brot verdienen - nicht einfach, wenn man allein den Beruf des Lehrers erlernt hat.

Mädchen für alles
Nach Startschwierigkeiten beginnt der berufliche und private Neuanfang von Egon Wochatz 1983 in einem Spremberger kirchlichen Altersheim. Wie beim Lehrerberuf hilft ihm auch hier ein Bekannter, der weiß, dass das Heim jemanden sucht. „Da wärst du versorgt“, sagt er.
Im Altersheim ist Wochatz nach eigener Aussage „Mädchen für alles“. Er ist Fahrer, da er der Einzige ist, der eine Fahrerlaubnis hat, aber auch als Hausmeister oder in der Küche ist er tätig. Im Keller des Altersheimes hat er ein Dienstzimmer, das er auch als Wohnung nutzt, da seine Einzimmerwohnung in Spremberg nicht beheizbar ist. Egon Wochatz ist dankbar, dass es zu der Zeit Menschen in seinem Leben gibt, die ihm helfen, auf die Beine zu kommen und auf den Beinen zu bleiben. Diese Beine sollen ihn in die Nähe Berlins tragen, da ihm und seiner zweiten Frau, die ebenfalls im Altersheim arbeitet, angeboten wird, ein Altersheim zu führen. Da sich die jüngsten Kinder in einer wichtigen Phase der örtlichen Berufsausbildung befinden, lehnt Wochatz das Angebot ab. Sein behandelnder Arzt gibt ihm folgenden Rat: „Sie müssen schauen, sich weiterzuentwickeln. Obwohl Egon Wochatz die Arbeit im Altersheim als sozialen Dienst empfindet, wird sich auch der 45-Jährige bewusst, dass er für die 15 Jahre bis zur Rente eine Veränderung braucht - eine, die ihn geistig ausfüllt.

Der Kreissekretär
Im Jahr 1986 wird Egon Wochatz Kreissekretär der CDU. In diese Partei ist er 1968 nach seinem ersten Verweis eingetreten. Die Spremberger Kreisleitung besteht aus ihm und einer Sekretärin. Natürlich hat die SED das Sagen. Die CDU bemüht sich neben ihrer Mitarbeit in den Gemeindevertretungen einfache Probleme vor Ort, wie die Sanierung eines Dorfkonsums oder Bushäuschens zu lösen. Auch deutsche Soldatenfriedhöfe werden gepflegt. Im Jahr 1989 änderte sich alles. Wochatz merkt, wie viele andere Bürger auch, dass etwas in der Luft liegt und die Zeit nach Reformen verlangt. Reisefreiheit und eine bessere demokratisch strukturierte DDR - das ist das Ziel des Kreissekretärs.
Dafür drückte er noch einmal so etwas wie eine Schulbank.
Ein CDU-Mitglied hat einen Cousin, der an der Freien Universität Berlin lehrt und von dem Wochatz und andere Mitglieder sich im Oktober 1989 zum Thema Marktwirtschaft schulen lassen. Die Zeit überrollte ihn mit seinen Zukunftsgedanken.
Am 28. Oktober 1989 gibt es in Spremberg die erste Demo. Wochatz marschiert nicht an erster Stelle. An erster Stelle nehmen vor allem Vertreter der Kirche teil. Egon Wochatz erinnert sich an Kerzen in Gläsern, die in den Händen getragen werden.

Der Kandidat
Am 18. März 1990 ist die letzte Wahl zur Volkskammer der DDR. Sieger wird das Wahlbündnis Allianz für Deutschland, welches aus der ehemaligen Blockpartei CDU mit dem Spitzenkandidaten Lothar de Maizière, der neu gegründeten Deutschen Sozialen Union (DSU) und dem Demokratischen Aufbruch (DA) besteht. Die CDU ist so stärkste Partei. Das ist auch nach der Kommunalwahl im Mai 1990 in Spremberg so. Hier muss sich das neue Stadtparlament bis zum 6. Juni, also innerhalb von vier Wochen, konstituieren. In dieser Zeit muss auch ein Bürgermeister her. Die anderen Parteien stellen keinen Kandidaten auf. Wochatz sagt heute, dass die anderen wohl gedacht haben, das Bürgermeisteramt steht der stärksten Partei zu. So hat die CDU die Aufgabe, einen Kandidaten zu finden. Doch niemand sagt zu. Entweder wollen die Angesprochenen nicht oder sie erweisen sich für eine Kandidatur als ungeeignet. Letztendlich wird Wochatz selbst vom Stadtverband der CDU vorgeschlagen. Obwohl er eigentlich Schulrat werden wollte, sagt er zu. Er hat geglaubt, sich als Schulrat bei denen revanchieren zu können, die ihm 1968 einen strengen dienstlichen Verweis ausgesprochen haben. Ein unchristlicher Gedanke, gibt Wochatz heute zu. Am 31. Mai 1990 erfolgt dann die Wahl. Am 1. Juni um 7 Uhr sitzt Egon Wochatz als Bürgermeister der Stadt Spremberg im Rathaus.

Der Bürgermeister
„Ich war der letzte Bürgermeister der DDR und der erste der neuen Zeit“, sagt Egon Wochatz heute. Was auf ihn als Bürgermeister für Aufgaben zukommen, weiß er noch nicht. Er sieht zunächst die Pflicht, es eben zu machen. An seine erste Parole kann er sich noch gut erinnern. „Mit uns. Mit mir für Spremberg“, hieß sie. Was auf Egon Wochatz als Bürgermeister zukommt und was er heute macht, lesen Sie nächste Woche im dritten und letzten Teil der Porträtserie.

Teil 1 der Porträtserie

Teil 3 der Porträtserie

„Bei uns einkaufen wie im Westen“. Diese Parole konnte Spremberg Anfang September 1990 ausrufen, da sich hier auf Initiative der Stadt der erste Lebensmitteldiscounter (Penny) im Bezirk Cottbus angesiedelt hat. Mit Bussen kamen die Einkaufenden auch aus Weißwasser oder Hoyerswerda. Egon Wochatz läutete die neue Einkaufszeit in Spremberg mit einer Rede und einer Glocke ein 		Foto: Werner Arlt
„Bei uns einkaufen wie im Westen“. Diese Parole konnte Spremberg Anfang September 1990 ausrufen, da sich hier auf Initiative der Stadt der erste Lebensmitteldiscounter (Penny) im Bezirk Cottbus angesiedelt hat. Mit Bussen kamen die Einkaufenden auch aus Weißwasser oder Hoyerswerda. Egon Wochatz läutete die neue Einkaufszeit in Spremberg mit einer Rede und einer Glocke ein Foto: Werner Arlt

Egon Wochatz im Bürgerhaus mit Blick auf den Marktplatz vor Sonnenuntergang. Auch wenn er heute nicht mehr Bürgermeister ist, setzt er sich im Stadtparlament für seine Überzeugungen ein. Derzeit arbeitet er an einem Kompromiss-Vorschlag zum Strittmatter-Jubiläum, den er am 11. Januar im Kultur- und Bildungsausschuss vorstellen will Foto: M.K.
Egon Wochatz im Bürgerhaus mit Blick auf den Marktplatz vor Sonnenuntergang. Auch wenn er heute nicht mehr Bürgermeister ist, setzt er sich im Stadtparlament für seine Überzeugungen ein. Derzeit arbeitet er an einem Kompromiss-Vorschlag zum Strittmatter-Jubiläum, den er am 11. Januar im Kultur- und Bildungsausschuss vorstellen will Foto: M.K.



„Ich war der letzte Bürgermeister der DDR und der erste der neuen Zeit.“

Zitat Egon Wochatz

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