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„Jedes Kind soll einen Anspruch auf die Hilfen haben, die es braucht“
Birgit Wöllert aus Spremberg will für die Linke in den Bundestag,
um Sozialgesetze zu vereinfachen

Frau Wöllert, auf den Wahlplakaten steht, dass es klar sei, dass Brandenburg rot wählt. Bei so viel Selbstsicherheit bräuchten Sie doch gar keinen Wahlkampf mehr machen - oder?
B. Wöllert:
Selbstsicherheit ist das nicht, aber Selbstbewusstsein. Das können wir schon auch haben. Wir hatten bei der vergangenen Wahl das beste Ergebnis hier in Brandenburg und auch bei dieser Wahl rechnen wir mit 25 Prozent plus x.
Sie sind Lehrerin von Beruf. Warum wollten Sie in die Politik?
Ich bin 2004 als Landtags-Direktkandidatin gegen Dietmar Woidke angetreten, der hier kandidiert hat. Es war sehr überraschend, dass ich hier das Direktmandat geholt habe. Ich bin am nächsten Tag auch in die Schule gegangen wie immer. Die Schule hat mir gefehlt. Ich hatte eine 10. Klasse und die Abschlussfahrt organisiert.
Spezialisiert haben Sie sich aber auf das Thema Gesundheit. Warum?
Unsere ehemalige gesundheitspolitische Sprecherin hat nicht mehr für den Landtag kandidiert. Da ich in der Kommunalpolitik sehr mit dem Spremberger Krankenhaus verbunden war, war das Thema für mich auch nicht fremd. Einfach war es aber nicht, sich in die Gesundheitspolitik einzuarbeiten.
Was wollen Sie beim Gesundheitssystem ändern?
Wir, Die Linke, wollen eine Bürgerversicherung. Alle zahlen in einen Topf - auch Beamte und Abgeordnete. Alle werden auch den gleichen Prozentsatz zahlen. Mit der Bürgerversicherung würden auch die Beitragssätze gesenkt werden können. Bei unserer Krankenversicherung ist auch jeder selbst versichert. Es gibt keine Mitversicherung als Familienversicherung und somit als Versicherte Zweiter Klasse.
Die Kinder können doch nicht einzahlen?
Der Beitrag der Kinder wird dann von der Solidargemeinschaft geleistet.
Wie lässt es sich regulieren, dass mehr Studenten Allgemeinmediziner werden?
Das wird sich nicht regulieren lassen. Wir haben die freie Berufswahl. Die will ich auch nicht einschränken. Die Rahmenbedingungen müssen sich ändern.
Das heißt?
Wir haben die totale Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung. Das ist aufzubrechen. Warum kann der Internist im Krankenhaus die Patienten nicht auch ambulant versorgen? Dann muss er das natürlich auch wie der niedergelassene Kollege vergütet bekommen. Zur Qualitätsverbesserung im Gesundheitssystem gehört aber auch, alle Gesundheitsberufe zu betrachten. Auch eine Gemeindekrankenschwester, die eng mit den Ärzten zusammenarbeitet, kann ich mir vorstellen.
Sie fordern zehn Euro Mindestlohn. Wie kommen Sie auf den Betrag?
Unter zehn Euro haben sie gar keinen Anspruch auf einen Rentenpunkt. Wenn wir darunter bleiben, organisieren wir schon beim Einkommen die Altersarmut von morgen.
Kann der kleine Bäcker oder Fleischer überhaupt Mindestlohn zahlen?
Wir fordern, die Mehrwertsteuer für solche bürgernahen Dienstleistungen auf sieben Prozent zu senken. Das bedeutet, dass diese kleinen Dienstleister auch entlastet werden und so ihren Mitarbeitern auch Mindestlöhne zahlen können.
Dann wird vieles aber auch teurer oder?
Wenn wir alle besser verdienen, können wir auch mehr zahlen.
Wie lässt sich die 1050 Euro Mindestrente finanzieren, die Sie fordern?
Wir wollen, wie bei der Bürgerversicherung, dass auch hier alle solidarisch in eine Rentenkasse einzahlen. Ich ärgere mich sehr, dass ich als Abgeordnete raus aus der Rentenversicherung bin. Ich könnte den höchsten Satz einzahlen. Ich bekomme für zehn Jahre im Landtag mehr Rente als für meine 33 Jahre als Lehrer. Das ist total ungerecht. Auch Beamte und Selbstständige müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, damit auch der öffentliche Dienst als arbeitgeber. Die Rentenkassen werden so besser gefüllt und die öffentlischen Haushalte von Pensionszahlungen entlastet.
Ab wann gibt es denn die Rente bei den Linken?
Ab 40 Beitragsjahren muss eine Rente auch mit 60 Jahren möglich sein.
Wie stehen Sie zur Uni-Fusion in der Lausitz?
Die halte ich nicht für schlimm. Es gibt nicht weniger Geld sondern mehr Geld. Es zeigt sich ja, dass die Anmeldezahlen ganz gut sind. Die Professoren sind nicht abgewandert. Ich bin auch deshalb dafür, hier eine Universität entstehen zu lassen, weil sich zwei Hochschulen um die jungen Studierenden streiten würden. Wenn wir Fachkräfte haben wollen, sollten wir die hier auch ausbilden.
Es geistert bereits das Schreckgespenst herum, dass von den heute drei Standorten zwei aus Kostengründen geschlossen werden könnten.
Nein. Das ist nicht Sinn der Sache. Es war unsere Forderung, auch den hochmodernen Standort Sachsendorf, in den viel investiert wurde, zu erhalten.
Mit Ihnen gibt es also keine Standortschließungen?
Wir haben von Anfang an gesagt, dass alle Standorte erhalten bleiben sollen.
Wo liegen in der Zukunft die Arbeitsplätze in der Lausitz?
Ich weiß, dass oft unterschieden wird zwischen Industriearbeitsplätzen und anderen Arbeitsplätzen, weil gesagt wird, dass nur die Industrie Wertschöpfung schafft. Das stimmt aber nicht.
In den Industriearbeitsplätzen wird aber mehr verdient.
Das kann ich auch andersherum sehen und sagen, dass in anderen Arbeitsbereichen wie der Gesundheitsbranche mehr verdient werden muss. In der Gesundheitswirtschaft findet auch Wertschöpfung statt. Hier sind mehr Beschäftigte als in der Autoindustrie. Machen wir uns mal nichts vor. Auch in der Kohle ist die Anzahl der Arbeitsplätze nicht gestiegen. Da ist viel Augenwischerei dabei.
Wie ist Ihr Standpunkt zur Zukunft der Braunkohle?
Mein Standpunkt ist eindeutig. Ich bin für keine neuen Tagebaue. Die Kohle aus den jetzigen Tagebauen reicht noch bis 2040 und darüber hinaus. Eine Brücke ist auch irgendwann einmal zu Ende.
Zur Bildung. Viele Kinder haben Eltern und Großeltern, die Hartz IV beziehen. Haben die eine Chance auf dem Arbeitsmarkt?
Da hat das System Schule die Aufgabe, eventuelle Defizite auszugleichen. Diese Kinder aus einkommnensschwachen Haushalten haben es verdient, dass wir uns ganz besonders um sie kümmern.
Wie genau?
Mit einer individuellen Förderung. Der Bildungserfolg darf nicht von der sozialen Lage der Eltern abhängig sein.
Fehlt es dem Land an Geld für bessere Bildung?
Bei der Finanzierung muss sich der Bund beteiligen. Das Kooperationsverbot muss weg. Bildung sollte nicht nur Ländersache sein. Der Bund hat hier große Verantwortung.
Wie kann denn die Lehrerausbildung so verändert werden, dass in den Naturwissenschaften mit praxisnahen Beispielen unterrichtet wird?
Wir haben ein neues Lehrerbildungsgesetz auf den Weg gebracht. Bei der Grundschullehrerausbildung wurde die Zahl der Semester angeglichen, also erhöht, und auch der Anteil der Erziehungswissenschaften wurde erhöht.
Ich meine aber konkret den Studieninhalt.
Da haben Sie wieder die Selbstbestimmung der Hochschule. Da stoßen Sie in der Praxis an die Grenzen.
Welche persönlichen Ziele haben Sie für den Bundestag?
Ich möchte in der Sozialgesetzgebung eine Vereinfachung für Kinder erreichen. Jedes Kind soll einen Anspruch auf die Hilfen haben, die es braucht. Und zwar ohne eine Prüfung des Einkommens der Eltern. Das betrifft von der Kita über die Schule bis zur Berufsausbildung alle Lernbereiche. Eltern sollen nicht zum Jugendamt, Sozialamt und überall hinrennen müssen. Ich möchte ein Gesetz, in dem alles für Kinder geregelt ist.
Es fragte Mathias Klinkmüller

Birgit Wöllert will für die Linken in den Bundestag, um Sozialgesetze zu vereinfachen Foto: Mathias Klinkmüller
Birgit Wöllert will für die Linken in den Bundestag, um Sozialgesetze zu vereinfachen Foto: Mathias Klinkmüller
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