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Vom zweiten Ferienjob direkt ins Chefbüro
Lothar Parnitzke ging im Feriensommer vor 50 Jahren zu Kunella und blieb für immer



Cottbus.
Der Feinkostbetrieb Kunella ist eine der wenigen Cottbuser Firmen mit mehr als hundertjähriger Tradition. Umgangssprachlich kursiert noch immer der Begriff Butter- oder Käse-Kunert. Nach dem I. Weltkrieg expandierte das Unternehmen. Noch heute existiert es in der Briesmannstraße. 36 Vollbeschäftigte und bis zu 40 Aushilfen liefern Produkte – von Leinöl über Mayonnaise, Meerrettich und Ketchup bis zu feinsten Würzölen für die Gourmetküche – in den deutschen Einzelhandel und bis nach Brasilien, Mexiko, Australien, Namibia, Estland.
Das Unternehmen gehört seit 1991 dem Ur-Cottbuser Lothar Parnitzke, dessen Karriere ein fast kurioses Jubiläum hat: Vor genau 50 Jahren, Anfang Juli, begann sie mit einem Ferienjob im damals noch privaten Feinkostbetrieb Kunella. Der älteste von sieben Geschwistern wollte Geld verdienen, um sich schick zu kleiden. Das war ihm schon damals wichtig. Die Chefin fragte ihn schon in der zweiten Woche, ob er hier lernen möchte. Mehr noch: Sie bot ihm an, Chef zu werden. Lothar Parnitzke erinnert sich ganz genau: „Ich dachte, ‘Mit dem weißen Kittel über’n Hof gehen, das schaffst du.’ – und da habe ich Ja gesagt.“
Was dann folgte, hatte nicht nur mit Goldmarie aus Frau Holle zu tun. Tatsächlich gefiel dem Schüler die Arbeit besser, als die im Vorjahr bei Buchwald gleich nebenan. „Da musste ich ständig Rosen schneiden, aber der Chef bot mir auch dort eine Lehre an, doch das lag mir nicht.“ Mit einer Sondergenehmigung vom Bezirkswirtschaftsrat (Jungen waren für andere Berufe vorgesehen) bekam Lothar Parnitzke die Lehre als Industriekaufmann, schloss sie mit besten Noten vorzeitig ab, leistete seine 18 Monate Wehrdienst in der Schreibstube des Cottbuser Panzerregiments und bekam dann vom privaten Betrieb eine Delegierung zum Studium. Eine Fachschule bei Magdeburg machte ihn fit als Ingenieur für Lebensmittel-Technologie. „Im Praktikum mussten wir im Thüringer Fleischkombinat halbe Schweine und halbe Rinder schleppen. Das war nicht ohne“, erinnert er sich an den doch beschwerlichen Weg zum weißen Kittel.
Den bekam er aber bald. Wie fast alle damals noch „halbstaatlichen“ Betriebe wurde Kunella zum VEB. Produktionsleiter Kurt Fussan wurde Feinkost-Direktor, der Absolvent Stellvertreter. „Mein Chef wollte mit 65 unbedingt nach dem Westen fahren. Das durfte aber nur, wer in den letzten drei Jahren kein staatlicher Leiter war. So machte er unter irgend einem Vorwand den Posten frei, und ich wurde mit 25 Jahren Betriebsdirektor.“
Das Versprechen, das ihm Firmeninhaberin Weimann gegeben hatte, war quasi erfüllt. „Wir produzierten Mayonnaise, Öl-Sortimente, Fleischsalat und Harzer Käse. Aber den habe ich Ende der 80er-Jahre aus technologischen Gründen abgeschafft.“

Endlich Millionär
Richtig spannend wurde es 1990. Wieder hatte Lothar Parnitzke das Glück des Tüchtigen. „Da war ein Geschäftspartner, der sagte, nachdem wir sechs Stunden um die Firmenzukunft diskutiert hatten: ‘Dann lassen Sie uns mal anfangen’. Er war der Glaslieferant, und nun auch der des Geldes.“ Später kam es zu schnellen, konstruktiven Treuhand-Verhandlungen, danach fand sich auch eine Hausbank. Lothar Parnitzke kämpfte Tag um Tag. „Ich musste 40 Leute übernehmen, hatte aber nur Arbeit für einen Tag pro Woche...“ So brachte er’s schnell zum Millionär. An Schulden. Aber das Engagement lohnte sich. Auf Messen weltweit wurden Cottbuser Kunella-Produkte zur angesehenen Marke. Gerade beginnen Verhandlungen in Südafrika, acht Lebensmittelmessen stehen bis November im Terminplan. Präsenz ist Pflicht.
Das gute Anziehen, seine erste Ferienarbeits-Motivation, gehört heute zum Job. Drei Wochen Urlaub hatte er aber noch nie. Trotzdem: „Es war alles richtig“, findet er heute. J. Hnr.

Aus welchem Anlass dieses schöne Belegschaftsfoto entstand, weiß Lothar Parnitzke, letzte Reihe, dritter von links, nicht. Aber er erinnert sich genau, dass es am zweiten Tag seiner Ferienarbeit zwischen der 8. und 9. Klasse aufgenommen wurde, demnach am 2. Juli, der, wie in diesem Jahr, auf einen Dienstag fiel. Keiner konnte ahnen, dass dieser „Neue“ einmal das Schicksal des Unternehmens gestalten würde




Lothar Parnitzke hat die „Spreewald-Käserei“ baulich liebevoll restaurieren lassen. Die Lkw-Flotte der 20er-Jahre ließ sich nicht mehr auftreiben. Dafür arbeitet in den Hallen modernste Technik. Die Produkte, vor allem Leinöl, Rapsöl, Mayonnaise und als echte „Renner“ gewürzte Öle, sind in allen deutschen Einzelhandelsketten, außer Aldi, gelistet
Foto: Hnr.

 

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