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„Seine Liebesbriefe haben mich fast umgehauen“
Dagmar Vogel untersuchte drei Jahre lang den Nachlass des Grafen Brühl /
Aus Anlass des 250 Todesjahres, des in der Forster Stadtkirche beigesetzten sächsischen Premierministers, sprach der Märkische Bote mit der Biografin über den Menschen Brühl

Am 4. November 1763 wurden die sterblichen Überreste des sächsischen Grafen Heinrich von Brühl in der Forster Stadtkirche beigesetzt. Der sächsische Premierminister setzte als Forster Stadtherr den Grundstein für die Tuchindustrie in der Stadt und somit zum wirtschaftlichen Aufstieg. Im Jahr 1748 ließ Brühl die Stadt nach einem Großbrand im Stil des sächsischen Rokoko wieder aufleben. Die Stadt Forst will den 250. Todestag des einstigen Stadtherren nutzen, um an seine, in Vergessenheit geratenen, Leistungen um Forst und Brody zu erinnern. Um den Menschen Brühl besser kennenzulernen, sprach der Märkische Bote mit Dagmar Vogel, die drei Jahre lang im sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden den umfangreichen Nachlass Brühls ausgewertet hat und eine 700-seitige Teil-Biografie schrieb.

Frau Vogel, nirgendwo steht ein Brühl-Denkmal. Warum haben Sie sich mit ihm beschäftigt?
Dagmar Vogel:
Brühl wurde von der Geschichtsschreibung immer nur in die Pfanne gehauen. Er soll verschwenderisch gewesen sein und als sächsischer Premierminister Sachsen wirtschaftlich ruiniert haben. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Auch lastete man ihm den
verlorenen Siebenjährigen Krieg und die damit einhergehende wirtschaftliche Zerrüttung Sachsens an.
Ihre Brühl-Biografie endet im Jahr 1738. Warum?
Die Aktenforschung habe ich ganz privat aus Interesse gemacht. Dreimal die Woche bin ich von Treuen im Vogtland 250 Kilometer nach Dresden gefahren. Drei Jahre lang. Ein Studium für einen zweiten Teil wäre mit viel Zeit und vor allem hohen Kosten für mich als Hobbyhistorikerin verbunden.
Es gibt ja nicht viele Brühl-Biografien? Warum forscht denn kaum jemand über Brühl?
Es gab schon mal eine Roman-Biografie von Walter Fellmann, aus den 1980er Jahren. Das es bisher keine weiteren Forschungen gibt, liegt vielleicht an der Fülle der Akten, die noch nie ausgewertet wurden.
Glauben Sie, dass jemand ihr Aktenstudium fortsetzt, um einen 2. Teil zu schreiben?
Das wäre sehr wünschenswert, denn die Akten bergen noch so manches historische Geheimnis. Vor allem müsste man auch ausländische Archi-ve, wie Österreich und Frankreich und soweit noch existent, Adelsarchive heranziehen.
Zu Brühl, woher stammt das schlechte Bild von ihm?
Nicht nur durch die Feindschaft mit dem Preußenkönig Friedrich II. Obwohl dieser versuchte, Brühl 1742 von Dresden nach Preußen zu locken. Auch ein Fürstentitel wurde ihm angeboten. Doch Brühl war absolut loyal und treu. Er lehnte ab. Somit war die Feindschaft zu Friedrich II. perfekt. Dadurch, dass er vom Anbeginn seiner Einstellung am Dresdner Hof 1719, in völliger Loyalität immer auf seiten des Königs stand, zog er sich den Unmut und spätere Ablehnung der Geheimen Räte zu.
Also beruht die Geschichtsschreibung auf persönlicher Diffamierung? Warum hat sich denn niemand eher Brühls Nachlass vorgenommen?
Das liegt vielleicht am öffentlichen Interesse. Sie sagten ja schon, für Brühl wurde nie ein Denkmal gebaut. Hätte Sachsen den Siebenjährigen Krieg gewonnen, wäre es vielleicht anders gekommen.
Brühls Karriere begann als Page. Trifft die Aussage vom Tellerwäscher zum Millionär zu?
Nun ja, er begann seine Karriere in der Tat im Herzogtum Sachsen-Weißenfels als Page. Durch die kurprinzliche Hochzeit 1719 kam er nach Dresden als Silberpage. Dort entdeckte ihn August der Starke und zog ihn mehr und mehr in seine engere Umgebung.
War ein Page ein Kellner?
So in etwa. Er war für das Aufwarten an der Tafel zuständig und musste auch Begleitservice und dergleichen leisten.
Womit machte er sich beim sächsischen König beliebt?
Sachsen war ein Ständestaat und August versuchte die Stände auszuschalten. Für das Umgehen der Stände war Brühl, nunmehr als Kammerjunker, zuständig, was ihn bei den Ständen natürlich nicht beliebt machte.
Was war er für ein Mensch?
Er wird als sehr höflich und hilfsbereit beschrieben und war ein Arbeitstier. Er hat Leistung vorgelegt und von anderen verlangt. Viel Zeit für das Privatleben blieb da nicht.
Er war also einsam?
Nein. Ich habe viele Liebesbriefe von ihm an seine Frau gefunden. Er hat sie über alles geliebt. Sie war der Mittelpunkt seines Lebens. Dass jemand auch nach fast 30 Ehejahren noch solche Liebesbriefe schreibt, hat mich bei der Recherche fast umgehauen.
Zu Forst. Wie kam der diplomatische Premierminister nun dazu, Stadtherr an der Neiße zu werden?
Im Jahr 1729 ist der sächsische Finanzminister Watzdorf gestorben. Ihm hat Pförten gehört. Brühl hat als Kammerjunker die Unterlagen gesichtet. Das war der erste Kontakt.
Was war an Forst so interessant?
Wenn der sächsische Hof nach Polen wollte, ging der Weg über Königsbrück, Hoyerswerda, Guben und Crossen nach Polen. Da lagen Forst und Pförten sehr günstig auf dem Weg. Ein Gebietserwerb, und Brühl durfte auch polnische Gebiete erwerben, diente der Festigung der Union zwischen Sachsen und Polen. 1740 bekam Brühl von August III. das Gebiet Pförten und 1760 die Anwartschaft auf Sorau und Triebel zugesprochen, als Äquivalent für die Zerstörungen Friedrichs II.
Warum engagierte sich Brühl so für Forst und die Tuchmacherindustrie?
Er war ein Pragmatiker. Auf der Leipziger Messe hatte er die Bedeutung des Merkantilismus erkannt. Die Tuchindustrie diente auch als Stofflieferant für die Uniformen der sächsischen Armee. Dass Handel und Wandel eine gute Sache sind, lernte er als Page der Kurfürst-Witwe von Sachsen-Weißenfels kennen, mit der er eine Zeit lang in Leipzig lebte und die Leipziger Messe hautnah mitbekam. Im Übrigen hat sich seine Frau auch um Landwirtschaft gekümmert.
Geht das aus den Akten hervor?
Ja, es ist dort zu lesen, dass sie in Pförten Wiesen hat trocken
legen lassen, um etwa die Schafzucht zu fördern.
War Brühl oft in Forst?
Er war zwar Stadtherr, aber um die Alltagsgeschäfte hat sich sein Intendant und rechte Hand Karl Heinrich von Heinicken gekümmert. Brühl selbst war nur selten in Forst. Er war nicht der typische Adelige.
Wie meinen Sie das?
Er lehnte zum Beispiel die höfische Jagd ab. Er war ein schlechter Reiter und das Tiergemetzel mochte er nicht.
Warum wurde er denn in Forst beigesetzt, wenn er hier so selten war?
Es war sein Wunsch. Nach dem Tod Augusts III. war Brühl klar, dass die Nachfolger keinen Platz mehr für ihn hatten. Man machte dem Verstorbenen nachträglich den Prozess wegen „Amtsanmaßung“ und enteignete ihn. So etwas gab es also auch schon damals. Alle seine ehemaligen Mitarbeiter fielen von ihm ab, wie welke Blätter vom Baum. Seine Söhne mussten sich über Jahre mit den Nachfolgern Augusts III. um ihr Erbe auseinandersetzen.
Brühl war auch evangelisch. Seine katholische Frau wurde in Polen beigesetzt.
Haben Sie seine Gruft mal besucht?
Im Jahr 1998 war ich bei einem Vertriebenentreffen von Herrn Dietrich Graf von Brühl nach Forst eingeladen worden. Damals war der Sarg noch nicht restauriert und das Seidentuch sowie Knochen schauten aus dem Sarg. Das hat mich sehr beeindruckt.
Wenn Brühl wie August der Starke oder wie Friedrich der Große einen Beinamen hätte, welcher wäre der Passende?
Heinrich der Diplomat. Das würde ihn gut beschreiben.
Wie finden Sie es, dass Forst den 250. Todestag Brühls feierlich begeht?
Ich finde das ganz großartig. Vor allem weil Forst heute in Brandenburg liegt. Dafür sage ich ganz privat ein ganz großes und herzliches Dankeschön.
Es fragte Mathias Klinkmüller



Dagmar Vogel hat sich die große Mühe gemacht, im Sächsischen Hauptarchiv die Nachlass-Akten des Grafen Brühl zu sichten und in einer Teilbiografie viele Quellen der Öffentlichkeit preis gemacht. Der einstige Stadtherr von Forst, der ein Motor der Tuchindustrie war, wurde vor 250 Jahren in Forst beigesetzt
Foto: privat

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