Folgen: aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Die Stadt-Demokratie zieht um
Ab Januar haben die Stadtverordneten ihr Zuhause in der Bahnhofstraße
Besichtigungstag für alle am 12. Januar / Hochzeitsklänge ab 14. Januar

STADTHAUS wird es nun heißen, das rätselhaft-schöne Backsteinhaus in verfrühtem Stil neuer Sachlichkeit mit Barockzitat und verspieltem Kreuz. Nein, eine Kirche war das nie, aber doch, ganz ähnlich, ein evangelisches Versammlungshaus. Dem Zweck ungezwungener Geselligkeit hat es nur selten wirklich dienen können; nun, 100 Jahre nach der Grundsteinlegung soll es der Stadt Glück bringen und Hort ihrer Zukunft sein. Hier werden ab Januar 2013 die vom Volke gewählten Männer und Frauen über das Wohl und Wehe der Stadt entscheiden. Aus dem Saal Altmarkt 21 ziehen die Stadtverordneten unter die hölzerne Tonnendecke. Ihre Stühle und Tische nehmen sie mit zu identischer Fraktionsordnung im Halbkreis. Sonst wird alles anders. Statt des zu straffer Ordnung mahnenden Stadtkrebses stehen den Volksvertretern zwei tüdelige Hirsche vor Augen, die sich gar nicht, wie es der Psalm dazu verspricht, durstig zum Brunnen recken, der wie eine vergessene Meldekorn -Flasche aussieht. Ob das künftige Versammlungen inspiriert...
Das einst in schier unbegrenzter räumlicher Großzügigkeit konzipierte Haus bietet jetzt gerade noch bescheidene Räume für die Fraktionen und das Stadtverordneten-Büro, dazu zwei sachlich-kühle Zimmer fürs Standesamt. Das heißt: Kühl wirkt die Optik; ansonsten steckt überall Fußbodenheizung unterm Parkett, der Raum zwischen Tonnengewölbe und Dach ist vollgepfropft mit Lüftungstechnik und in Kanälen laufen unermessliche Kabelkilometer modernster Konferenztechnik, die von einem schreibheftgroßen Tastschirm mobil zu steuern ist. Eine Symbiose aus spätkaiserlicher Bauinspiration und moderner Nutzart, die ihren Preis hat: 4,9 Millionen Euro (davon 2,7 hälftig von Bund und Land als Städtebauförderung) sind nach fehlerhafter Privatsanierung nochmals ins Haus geflossen.
Übrigens: Die großen Fenster, sind vielleicht das Gefälligste am Objekt; ohne sie würde die düstere Farbhaltung Beklemmungen bewirken.
Am Sonnabend, dem 12. Januar, ab 10 Uhr ist Tag der offenen Tür im Stadthaus. Für den ersten möglichen Hochzeitstermin im Standesamt am 14. Januar 2013 gibt es noch keine Vormerkung. Oder doch?


Der große Saal - hier ein Blick von der Bühne zur Empore - wird durch das hölzerne Tonnengewölbe mit dem untergezogenen Tragwerk (seit dem Umbau funktionslos) geprägt. Über der Bühne frömmelt eine künstlerisch nicht eben wertvolle Allegorie zu Psalm 42: durstige Hirsche als bildlicher „Schrei der Seele nach Gott“... (Bild links)

Foto oben: Das ehemalige evangelische Gemeindehaus wird Stadthaus mit Stadtverordneten-Sitzungssaal. Der Wappenkrebs von Metallgestalter Manfred Vollmert ist schon umgezogen und schmückt die einstige Turnhalle, die jetzt kleiner Sitzungssaal wird

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Das evangelische Gemeindehaus
...sollte dem christlichen Vereinswesen offen stehen und wurde ab 1913 gebaut. 1914 wurde es fertig und gleich der Heeresleitung als Lazarett überlassen. 1919 wurde es doch noch Vereinshaus mit Hospiz (fünf Gästezimmer), ab 1924 mit Schankrecht. Nach 1933 wurde die Jugendarbeit auf HJ und BDM reduziert. Gegen Ende des II. Krieges zog in die Bahnhofstraße 5 erneut das Krankenhaus, ab 1946 fand hier Religionsunterricht statt, an den sich ältere Leser erinnern. Mitte der 1960er Jahre übernahm die Stadt das Haus zu unterschiedlichen Nutzungen. Es war Sitz des Sportclubs Cottbus mit Trainingshalle für Boxer, Station Junger Naturforscher und Techniker und nach der Wende noch Museum für Natur und Umwelt.



Großzügig: Zwei gleiche Treppenaufgänge führen in das obere Foyer, früher „Trinkhalle“ genannt, von wo drei breite Flügeltüren in den Hauptsaal führen
Fotos: J.Hnr.

 



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