Folgen: aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Verschmitztes Gruseln
Anmerkungen zur Glass-Oper von Jo Fabian

Cottbus. Frei bewegen sich nur das riesige Pendel und der ahnungslos auftauchende Gast. Das Übrige befindet sich sicherheitsverwahrt hinter Gittern der Warenträger von Großhandelsmärkten. Vorsichtshalber. Denn ob Dekadenz nur beängstigend erscheint oder auch aggressiv sein kann, bleibt so vage wie die möglichen Folgen riesenhaft mutierender Ratten. Kultur verfällt in ihrer selbstgefälligen Isolation, Natur wuchert ungehemmt. Nicht aus bröckelndem Putz und Eichendorffschen Efeuranken erzählen Jo Fabian (Regie) und Pascale Arndtz (Ausstattung) die absurde Geschichte des amerikanischen Phantasten Edgar Allan Poe (1809-49), der sich übrigens auch Anregungen aus Pücklers Reiseerzählungen holte. Nein, sie spielen mit Homunkulus-Bildern (Föten und Käfigkinder), mit Hinweisen auf Poesie (Der Rabe, Poes Gedichtbandtitel, in Madelines Hand), Vergänglichkeit (Pendel) und vor allem Rhythmik. Die gibt ihnen, immer eindringlicher und einnehmender aufs zunächst skeptische Publikum wirkend, Philip Glass vor. Klassik-Hörern eher weniger vertraut, ist Glass ein im amerikanischen Film und Theater allgegenwärtiger Tonschöpfer, der bei jüngeren Musikkonsumenten in keinem CD-Regal fehlt. Horrorszenarien liegen ihm wie andere Action auch. Seine einfachen Akkorde sind suggestiv, ja, in ihren Wiederholungsschleifen geradezu hypnotisch. Fabian steigt begeistert darauf ein, kultiviert figürliches Verrenken zu balletthaften Soli und lässt die Protagonisten abgezirkelt, wie in Trance, ihren Gitterstall abschreiten.
Nur ein Dutzend Musiker unter Leitung von Marc Nieman sind hinter dem Spielraum aufgebaut, dicht und drängend genug, um die Handlung musikalisch umzutreiben, eigentlich sogar zu dominieren.
Die beginnt pastoral mit dem Besucher William (Heiko Walter), der seine Gebetsschnur perlt, während über ihm in Gitterfächern sein alter Freund Roderick (Matthias Bleidorn) und dessen hinfällig schöne Schwester Madeline (Debra Stanley) zucken oder wehklagen. Die schöne Spieluhr-Tänzerin, die William als Geschenk bringt, scheint Schmerz zu verursachen an diesem Ort des Verfalls. Der Arzt (Dirk Kleinke) kann hier nicht helfen. Im Wahn werden die Zerbrochenen zu Kindern, verfällt alle Vernunft, explodiert die Population der Ratten.
Bilder, Ideen, Provokationen, Absurditäten - nichts ist wirklich so; Roderick und William stoppen das Spiel kurz zu einer Zigarrenpause. Es sind halt so Gedanken, die den Menschen anfallen, wenn er über die Krankheit dieser Gesellschaft ins Grübeln kommt. Unaufhaltsam aber bleibt das Pendel, bleibt der beschlossene Verfall. Die schöne Madeline endet wie die Föten: durch Formalin im Glas konserviert. Für niemanden und nichts erreichbar. Wozu also so schön?
„Der Fall des Hauses Usher“ ist eine junge, kleine Oper, die Grenzwerte des Familienthemas ertastet. Intendant Martin Schüler hat sie ausgesucht und einen Regisseur gefunden mit Experimentierfreude. Dass der früher hier Tanztheater inszenierte, wird bei jeder Gelegenheit an seinen Namen geheftet, hat aber mit dieser Arbeit nichts zu tun. Sie ist etwas irre und herzerfrischend geworden, macht große Spielfreude und reife Stimmkultur zum Genuss. Eine wirkliche Entdeckung für Leute mit Humor. J.Heinrich

Es ist an der Zeit: Pendelszene aus „Der Fall des Hauses Usher“ mit Debra Stanley als Madeline, Dirk Kleinke (Arzt) und Matthias Bleidorn in der Rolle des Roderick Foto: M. Kross

Es ist an der Zeit: Pendelszene aus „Der Fall des Hauses Usher“ mit Debra Stanley als Madeline, Dirk Kleinke (Arzt) und Matthias Bleidorn in der Rolle des Roderick
Foto: M. Kross

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