Folgen: aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Im Märchenwald vergoogelt
Schmeichelnde Volkslied-Oper zwischen Striese und Computer-Stress
Hänsel (Marlene Lichtenberg) und Gretel (Cornelia Zink) verirren sich im dunklen Tannwald (Bühne: Hans-Holger Schmidt), der sich während ihres Schlafes - warum auch immer - videotechnisch in einen hellen, tropischen Blätterwald verwandelt, in dem die Bäume fröhlich tanzen

Cottbus. Die gute alte Idee vom handgemachten Theater, das alle Sinne kitzelt und der Phantasie jenen weiten Raum gibt, dessen sie in orgiastischen Videowelten sonst beraubt bleibt, stirbt ausgerechnet in der Weihnachtsoper. Der Besucher googelt zum Handlungsort. Dieser www-Gag wäre zu ertragen, würde nicht bald darauf das ganze Stück in technikverliebter Spielerei zerfranst. „Psychische Befindlichkeiten der Figuren (Angst, Freude)“, so das Programmheft, sollen durch 3D-Effekte glaubhaft gemacht werden. Dann rate ich doch lieber zu Hollywood. Auf dem Theater vermochten solches noch immer Musik, Gesang, Tanz, Sprache, Gestik - kurz: darstellerischer Glanz in meisterhafter Regie zu leisten.
Welcher Teufel, oder - um im Stück zu bleiben - welche Hexe mag Martin Schüler als großen Meister der Opernregie geritten haben, sich derart ins Handwerk pfuschen zu lassen. Nicht nur das fatal strapazierte Geschenk des Fördervereins (unterstützte die Anschaffung von Projektionstechnik sicher in guter Absicht), sondern auch Teile der Ausstattung und der Kostüme sowie der Balletteinsatz rücken diese auch für Kinder gedachte Inszenierung in die Nähe von Schönthans Striese-Schmiere. Albern an Strippen zappelnde Holztauben und vor allem dieses widerliche Engelsballett mit steifen Pappflügeln und zu Mädchen umgeschminkten Männern müssten selbst in Jahrmarktsbuden gellende Pfiffe fürchten. Aber Cottbuser Premierenpublikum leidet gern still und duldsam.
Schade um klare Bilder wie das der Ouvertüre mit „Engelbert & Wettes“ (nach Komponist und Librettistin benanntem)
florierendem Spielzeugladen, zu dessen feiner Kundschaft die hungrigen Besenbinder-Kinder in anrührendem Kontrast stehen. Marlene Lichtenberg (Hänsel, frech und mit fester Stimme) und Cornelia Zink (Gretel, als tönten Weihnachtsglöckchen) singen, tanzen und spielen diese schönen Partien und verstehen es beide, ihren Hunger, ihre Träume, ihre Ängste im Wald und ihren Mut im Angesicht der Hexe so klar zu zeigen, dass es der Videos eines lichten, zudem tropischen Waldes, der nicht ein bisschen Angst macht, hier wirklich nicht bedurfte.
Von der klassischen wilhelminischen Arbeiterküche, in der der Vater (Andreas Jäpel) die Stütze verfuselt und die in Not hart gewordene Mutter (Carola Fischer, leider sehr undeutlich im Text) behende hantiert, wechselt die Handlung zum unwirklich schönen Knusperhaus (Bühne Hans-Holger Schmidt). Hier verführt Hardy Brachmann mit großem Hexenzauber und dabei - wenn überhaupt - ist die neue Wundertechnik im Besenflug sogar hilfreich.
Die Hexe büßt zuletzt im Feuer. Ende gut, alles gut, auch für diesen Abend, der viel Beifall findet. Denn Engelbert Humperdincks eingängige Musik zum Libretto seiner Schwester Adelheid Weise, uraufgeführt unter Richard Strauß vor fast 120 Jahren in Weimar, hält auch dreisten Googlungen stand, zumal sie mit freudiger Frische, auch am einfachen Kindertanzlied, gespielt wird (musikalische Leitung Marc Niemann). Die frömmelnde Euphorie im Finale gehört schon wieder ins Ressort von Theaterdirektor Striese. J. Heinrich

Hänsel (Marlene Lichtenberg) und Gretel (Cornelia Zink) verirren sich im dunklen Tannwald (Bühne: Hans-Holger Schmidt), der sich während ihres Schlafes - warum auch immer - videotechnisch in einen hellen, tropischen Blätterwald verwandelt, in dem die Bäume fröhlich tanzen Foto: Kross

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