Folgen: aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Maud findet: „Die Welt braucht Brücken“
Anmerkungen zu „Harold und Maude“ nach 22 Jahren am Staatstheater
in Regie von Rudolf Koloc

Cottbus. Die beiden haben die Beleuchterbrücke erklommen und hocken beängstigend hoch über dem Publikum, auf einem Jäger-Hochsitz. Maud erzählt von Buddha und zwei fleißigen Männern. Der eine baute eine Brücke und bekam einen goldenen Ochsen; der andere baute eine Mauer und ward erdrückt vom Ochsen. „Die Welt braucht Brücken, keine Mauern“, sagt Maud und programmiert die nächste Generation. Sequenz um Sequenz, spielerisch, skurril, manchmal eben sogar akrobatisch.
Diese Inszenierung von Rudolf Koloc, heute Schauspielprofessor in Berlin, einst Schauspiel-Schüler von Christoph Schroth in Schwerin, reiht Bild an Bild kraftvoll aneineinander. Eine Szenenfolge meisterhafter Schauspielereien, manchmal etwas zusammenhanglos. Vielleicht ist das ein Mangel dieser fast genialen 120 Theaterminuten, dass sie der faszinierenden Zweiergeschichte davondriften, etwas selbstverliebt und jahrmarkthaft bisweilen. Aber jede der Rollen greift tief in die Kunst des Fabulierens. Da stakst diese überdrehte und dabei überaus besorgte Mutter einer extrem aufgedrehten Sigrun Fischer um die kalten Sessel, Rolf-Jürgen Gebert umdienert sie als Seelen-Krankdeuter, Thomas Harms ist ein funktionierender, jede Gemütsregung mit polizeilicher Heftigkeit überspielender Kommissar, Berndt Stichler der weichlich-biegsame Pater und Johanna Emil Fülle brilliert in gleich vier Typen junger Frauen bislang von ihr nie gesehener Lockerheit.
Sie alle braucht Autor Colin Higgins (1941-1988), um ein kontrastreich-dekadentes Milieu zu malen, das Juan Leon mit einem Möbelberg, Särgen, Gemälden und diversen Bomben und Henkerschlingen ausstattet.
Obenauf agieren Harold und Maud. Dieser Gegensatz von alt und jung, Weib und Mann, gelöst und gehemmt, ja und nein, lebensprall und todes­verliebt - dieses Aufeinandertreffen zweier gesellschaftlicher Grenzgänger liegt zwischen Märchen und Kabarettspiel. Heidrun Bartholomäus hinterlässt mit dieser Figur keine Spur von Komik. Sie sagt die mit Fragen überladenen Aussagesätze hin wie Luther seine Thesen. Gebeugt schiebt sie ihre Schubkarre als hinfällige Alte auf den Friedhof, beschwingt tanzt, steppt und singt sie zum elektrischen Klavier, gerührt nimmt sie, den Freitod schon erwählt, den Ring des Liebenden entgegen. Ein großes, abendfüllendes, herzergreifendes Spiel.
Roland Schroll bleibt der störrische Harold, blass, introvertiert, ungelenk selbst in den enthemmten Radschlägen und Purzelbäumen. Welch ein spannendes Paar, über das der Zuschauer noch mehr erfahren möchte. Was, um Gottes Willen, wird nun aus Harold!?
Viel Beifall war verdient für dieses Plädoyer für Brücken, das auch ein Brückenschlag zu „Harold und Maud“ des Theaters der Stadt Cottbus, Träger des Vaterländischen Verdienstordens in Silber (Programm-Impressum) vom Dezember 1989 war. Die großartige Iris Klinke gab die Maud, Thomas Kressmann den Harold, Peter Volksdorf führte Regie. Mit seinem Publikum war Theater damals unterwegs, „den guten Menschen“ zu finden. Die Frage hat bewegt, warum die Sterbenden niemals weinen. Wissen wir das jetzt?
Wir sind anders geworden. Und Harold?
Der ist jetzt 22 Jahre älter. J. Heinrich


Maud (Heidrun Bartholomäus) gibt Harold (Roland Schroll) Feuer. Die 80-jährige kann den jungen Mann entzünden
Foto: Marlies Kross

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