aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Packend: Königin Lear
Anmerkungen zur Inszenierung von M. Holetzeck

Cottbus. Shakespeares alter König versammelt seine drei Töchter und gibt ihnen das Erbe nach dem Maß ihres Schmeichelns. Was sagt die jüngste, liebste? Nichts. Er verstößt sie.
So einfach geht das aber bei Mario Holetzeck nicht. Der Schauspieldirektor hat für eine eigene Fassung Menschen aus Fleisch und Blut und Staub gefunden, die zu faszinierenden Charakteren werden, wie der zur schlauen Ratte mutierte Gloster-Sohn (Amadeus Gollner) in den Katakomben oder in der zweiten Handlungslinie das Vater-Tochter-Paar Gloster (Rolf-Jürgen Gebert) und Edmund (Johanna Emil Fülle) im Strudel von Brutalität und doch unbändiger Zuneigung. Die „unspielbare“ Tragödie erhält frappierend klare Bildstrukturen durch die Ebenen und Drehungen und Zerstörungen, die Gundula Martin durch ein funktional-lineares Bühnenbild schafft, das Szenen bisweilen ausstellt wie in Bilderrahmen.
Der entscheidende Kunstkniff aber ist das Aufsetzen, ja Aufbürden der mütterlichen, der emanzipierten Ebene. Statt des sicher nur eitel-grausamen Königs ist da die Erfolgsfrau, die sich niemals schonte, verschlissen nun an Körper und Seele. Gewohnt zu fordern, beansprucht sie das Verlorene: Herzensheimat und Liebe. Zwei Kinder sagen gehorchend zu, zwei nur, nicht der dritte, der liebste. Der Konflikt nimmt seinen Lauf. Nicht irgendwo im entrückten Britannien, sondern im Hier und Heute tun sich die Abgründe auf. Die Herrin und Mutter (Heidrun Bartholomäus) wird nach drei Stunden Spiel vor atemlosem Publikum im Wahnsinn enden, die toten Kinder auf ihrem Schoß. Das Licht in ihrer Irre, der Narr und verstoßene Kent (vornehm gezügelt von Berndt Stichler gegeben), vermag ihr nicht mehr den Weg aus allen tragischen Lebensverstrickungen zu weisen. Statt der drei Töchter eine Schwester und zwei Brüder - auch hierdurch gewinnt die Tragödie spielbare Lebensnähe. Im nun ausbrechenden Machtkampf der jungen Leute gerät vor allem Oswald unter Druck. Ihn spielt Oliver Breite, hier besser als Oliver Bäßler (Schroths Ole Bienkopp) bekannt.
In den Rollen der Lear-Kinder erleben wir Johanna Julia Spitzer (sehr couragiert), Oliver Seidel und als unbotmäßigen
Jüngsten Roland Schroll. Einer bäuerlichen Nachbarsfrau kommt Gabriele Lohmar als Königin von Frankreich gleich, als Edelleute sind Michael Becker und Adrian Papst unterwegs.
Wie der Bildrahmen trägt auch die handlungsführende Musik (Hans Petith, Tobias Dutschke, Dietrich Petzold) zur klaren Schauspielstruktur bei.
Ein packender Abend mit sehr viel Beifall! J.Heinrich

 

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