aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Candide - eine folkloristische Revue
Nicht alles ist gut: Anmerkungen zur turbulenten Operetteninszenierung

Cottbus (MB). Bernsteins „Candide“ kannte eigentlich kaum jemand, bevor die Komische Operette, auf welchen Anstoß auch immer, jetzt auf die Theater in Gelsenkirchen, Dessau und nun auch Cottbus kam. Leonard Bernstein - der Name klingt für Qualität. Auch in diesem Falle. Allerdings genügte es, die Ouvertüre zu genießen, die Feuer hat und europäischen Geist versprüht. Da klingen raffiniert durchflochten Motive der Länder auf und schaffen höchste Erwartungen. Die erfüllen sich nun gar nicht in einem affig überzeichneten grell-bunten Durcheinander, dem aber auch jeglicher philosophischer Atem fehlt. Und gerade darum, so lässt sich nachschlagen, ging es wohl, als sich der geniale Bernstein auf dieses Libretto einließ: Ein Erfolgswerk Voltaires, das sich mit der vom letzten Universalgelehrten Leibniz definierten „besten aller möglichen Welten“ kritisch-ironisch auseinandersetzt, sollte beherzte musikalische Unterhaltung werden. Ward es aber nie; seit den Premieren in Boston und New York 1956 wird an dem Stück nachgebessert und der deutschen Fassung von Kopf/Millard fehlt es geradezu bestürzend an sprachlicher Poesie. Die Texte sind mit gar nicht singbaren Worten, auch sperrigen Fremdworten, überladen, so dass manche Lieder, zumal auch noch falsch über der Bühne angeschrieben, gänzlich fehlklingen. Mit so schlechtem Text lässt sich ein extrem verworrener Handlungslauf wie dieser nur schwer vermitteln. Regisseur Wolfgang Lachnitt wirkt da völlig ratlos und scheint den Ausstattern (Bühne Rüdiger Tamschick, Kostüme Christian Albert) das Feld zu überlassen, die eine Art Bühnen-Experimentierkasten mit nie dagewesener Fülle an Gold, schrillen Kostümen, ganz hübsch wogenden Ozeanwellen, folkloristischen Effekten und anderlei Unnötigem überschütten. Dass all die kindisch-dümmlichen Gesten der Darsteller im trottlig-fürstlichen Westfalen vielleicht gar zeitkritisch zu deuten seien, kann kaum jemand annehmen. Was also soll das Theater?
Zugegeben: Die rasante Märchenreise hat auch ganz hübsche Szenen, und das Ensemble spielt mit großem Engagement. Dirk Kleine, Volker Maria Rabe und auch sonst darstellerisch eher zurückhaltende Herren wie Jörg Simon und Ji-Won Park zeigen sich als Verwandlungswunder in vier, fünf, sieben, ja sogar neun Rollen. Alle Mitglieder des Chores, der auch hier glänzend einstudiert ist (Christian Möbius) nehmen vielerlei Nationalitäten an.
Im Mittelpunkt stehen die Adelsgören Maximilian (Andreas Jäpel ganz als Tölpel angelegt) und Cunegonde (eine wunderschön kolorierende Cornelia Zink), mit denen Candide aufgezogen wurde, der sich in Cunegonde verliebt und ihr weltweit folgt. Hardy Brachmann ist diese Titelfigur, die träumerisch hingegeben ihre Kantilenen aussingt und gar keinen Zweifel am Überfluss jeden Zweifels lässt: mag alles noch so absurd sein - es ist gut wie es ist. Oder ist es das etwa nicht? Angebote zur Auseinandersetzung bleiben fast völlig aus.
Carin Schenk-Schmidt ist als souveräne Old Lady zu erleben, während Heiko Walter erkältet die Premiere verpasste. Seinen Voltaire und Pangloss und Cacambo und Martin gab Joachim G. Maaß aus Gelsenkirchen, der kurzfristig eingesprungen war und damit anscheinend keine Mühe hatte. Das Publikum nahm das Stück mit gespaltenen Gefühlen auf. Der höfliche Applaus galt vor allem den Darstellern. Nächste Vorstellung: 4. Mai. Hnr.

Szenenfoto mit (v.l.n.r.) Hardy Brachmann (Candide), Ingolf Czerny (Kellner), Carin Schenk-Schmidt (Old Lady), Katharina Dittmar (Kellnerin) und Cornelia Zink (Cunegonde)

Szenenfoto mit (v.l.n.r.) Hardy Brachmann (Candide), Ingolf Czerny (Kellner), Carin Schenk-Schmidt (Old Lady), Katharina Dittmar (Kellnerin) und Cornelia Zink (Cunegonde)
Foto: Michael Helbig
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