aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Das zweite Gesicht des Esau Matt
Neue Forschungen treffen auf traumatisierten Menschen / Werk neu verstehen

Spremberg (J.H.) Zwei scheinbar unversöhnliche Kontrahenten führen ihren Streit um einen Dichter: „Besonders infame Methoden“ nennt Barth den Stil der Enthüllungen, mit dem Werner Liersch letzten Sommer Strittmatters SS-Zugehörigkeit an den Pranger brachte. Dafür setzt Liersch den Begriff „His-toriker“ in Gänsebeinchen, wenn er von Barth spricht.
Auch zum 15. Todestag des Dichters am Sonnabend, als der Strittmaterverein zur öffentlichen Anhörung in die Aula des Spremberger Strittmatter-Gymnasiums eingeladen hatte, entspannte sich die Situation nicht. Werner Liersch blieb fern, Bernd-Rainer Barth (Jg.‘57) trug leicht gereizt vor. Biografisches „Herrenwissen der DDR“ sei sein Fachgebiet, sagte er. Tausende Biografien hat er für das Buch „Wer ist wer in der DDR“ zusammengetragen. Zu Stittmatter habe er „nicht zweieinhalb Tage wie Liersch“, sondern sechs Monate in Archiven geforscht.

Seine vorläufigen Erkenntnisse:
Erwin Strittmatter, der sich (urkundlich belegt) um Aufnahme in die Waffen-SS bemühte, aber als nur „allgemein geeignet“ abgewiesen wurde, erhielt ab März 1941 eine Grundausbildung an der Schupo-Nachrichtenschule Eilenburg und kam dann (vermutlich) nicht gleich, wie er angab, in eine Schreibstube, sondern war ab September ‘41 an Einsätzen der Polizeibataillons 325, unter anderem zwei Monate in Krakau, beteiligt. Barth: „Wir können durch MfS-Recherchen genaue Angaben zu solchen Einsätzen machen. Die Aufgabe lautete: Banden aufreiben, unschädlich machen, Männer exekutieren, Frauen ins KZ, Kinder ins Reich...“
Der Historiker Barth berichtete von vielen neu gefundenen Doku-menten, auch Fotografien, jedoch nicht persönlich Strittmatter betreffend. Er rechne damit, im Sommer seine Arbeit zu Strittmatter zum Abschluß zu bringen.
Die deutlich belastenden Informationen über ihren „Esau Matt“, wie sich der „Aufschreiber“ Strittmatter im Roman nennt, machten die Mitglieder des Literaturvereins betroffen. Man müsse das Werk eines traumatisierten Menschen neu lesen. Genau das hat der Bonner Pfarrer Henning Gloege getan und viele Stellen gefunden, in denen der Dichter versuchte, Kriegserlebnisse aufzuarbeiten. Lektorin Dr. Almut Giesecke vom Aufbau-Verlag, die den 3. „Laden“ begleitete, regte an, das Werk weniger wörtlich als poetisch (Strittmatter formulierte: „Gelogenes“) wahrzunehmen. Es gelte, Werk und Zeitgeist weiter zu durchforschen, glaubt Vereinsvorsitzender Dr. Schemel, und Bürger-meister Dr. Klaus-Peter Schulze riet Sprembergern, das Ergebnis der Historiker-Arbeit abzuwarten.

In der prächtigen Jugendstil-aula, die Strittmatter als Schüler erlebte und die er beschrieb, in der Schule die heute seinen Namen trägt, trafen sich Strittmatter-Freunde, um ein düsteres Kapitel ihres „Aufschreibers“ zu belichten

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