aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Mittwoch, 1. Oktober 2008: 100 Jahre Theater Cottbus - die Bürger feierten mit Kind & Kegel und Ehrengästen

Ein Traum-Geburtstag mit den „Musen im Rausch“
Bundespräsident Horst Köhler: „Die Kulturnation Deutschland lebt vor allem hier in Cottbus“ / Theater im Theater: Die Musen aus dem Kuppelfoyer sprangen von den Sockeln - eine Uraufführung / Stargast im Ensemble: Landrat Dieter Friese, der als Clown den Humor befreit

Cottbus (h). Ein Besucher nannte es wohlwollend den „Ritterschlag“: So hohen Besuch hatte das Theater im 100jährigen Dasein noch nie. Zwar gab dem Haus zum 50. Geburtstag der damalige Ministerpräsident Otto Grothewohl die Ehre, aber Bundespräsident Horst Köhler dürfte als weitaus ranghöher gelten. Seine Bewertung von Verdiensten und Bürgerfleiß koppelte er nicht an Regierungsformen. Die Theatergründer, sagte er, hätten sich „der Freiheit in Kunst zugewandt und damit auch der Freiheit selbst.“ Er spüre „den Geist der Gründerjahre in diesem Bauwerk“ und im Banne herrlicher Stimmen, die eben verklangen, riss es ihn hin: „Ich bin wirklich ganz hin und weg.“ Er habe nicht mit einem so schönen Abend gerechnet, gestand er und fügte, dem Intendanten zugewandt, hinzu: „Herzlichen Glückwunsch! Ich verspreche Ihnen, ich drohe Ihnen an: Ich komme wieder.“ Das brachte dem Ehrengast, der in dezent dunkelgrauem Anzug und mit dunkler Fliege ans Rednerpult getreten war, Szenenbeifall.
Horst Köhler dankte Ursula Hulme, der Enkelin des Gründungsmäzens Max Grünebaum- herzlich. Die Fabrikantenfamilie war aus Nazideutschland vertrieben und enteignet worden; aus rückübertragenem Vermögen gründeten die Erben eine Stiftung zu Gunsten junger Bühnenkünstler und Wissenschaftler in ihrer Heimatstadt.
Horst Köhler würdigte auch die beherzten Retter des Hauses, die seine Sprengung 1945 verhinderten, weil der Musentempel als Munitionsdepot missbraucht war. Anerkennende Worte fand er ebenso für das Bürgerengagement der 1980er Jahre, als das Haus umfassend restauriert worden ist. Es sei ein schönes Zeichen für den Geist des Aufbruchs, dass gerade hier am Theater 1989 die Cottbuser Montagsdemonstrationen begannen. „Wenn die Hamburger als Ausrichter des Festaktes zum Tag der Deutschen Einheit dem Anlass erstmals einen Titel gegeben haben, nämlich ‘Kulturnation Deutschland’, dann kann ich denen dort am 3. Oktober sagen, dass diese deutsche Kulturnation lebt. Sie lebt vor allem hier in Cottbus. Das sollen die Hamburger wissen!“
150 Stadt- und Staatstheater und weitere 1 000 freie Bühnen seien rühmliches Potential für die Kunst; unser facettenreiches Leben liefere genügend Stoff für Theater, wies Horst Köhler auf aktuelle Wortmeldungen der Kunst hin. Kultur möge das Bindeglied für Generationen sein. Das Theater sei Bollwerk gegen Extremismus und Barbarei. Mit einem freundlichen „Glück auf!“ schloss der Bundespräsident und nahm in der ersten Reihe, später zum Konzert in der Loge im ersten Rang Platz. Stürmischer Applaus dankte ihm für sein Kommen.
Trutzburg á la Wanka
Als Kulturministerin Prof. Johanna Wanka, in weiter akademischer Schleife ihren Gruß einleitend, von Wiener Avantgardisten schwärmte, die 1908 für bauliche Reduktion und gegen alle Schnörkel am Bau Front machten, während in der Lausitzer Provinz noch Zierrat bejubelt wurde, senkten sich die Köpfe im Publikum. Aber die Ministerin schaffte die Kurve: „Unser schönes Theater ist heute ein Leuchtturm, der Signale bis Berlin und ins nähere Dresden sendet.“ Das Sehringsche Bauwerk nannte sie „eine Trutzburg der Hochkultur“. Weiter: „Dieses Theater hat einen festen Platz in der brandenburgischen Theaterlandschaft und behauptet sich mit einem lebendigen Spielplan.“ Hier richtete sie ihren Dank persönlich an Intendant Martin Schüler.
Im Gründergeist
Auch Oberbürgermeister Frank Szymanski setzte seine Gedanken ein Jahrhundert rückwärts an: „Der Geist, der damals herrschte, hat uns viel zu sagen“ fand er und verglich Oberbürgermeister Paul Werners Zeit (1892-1914) mit der heutigen. Damals wie heute gäbe es große Schübe der Stadtentwicklung. Damals wie heute wurde und werde aber auch viel diskutiert, manches auch zerredet von Stadtverordneten, verglich er die Chronik mit eigenem Erleben. „Wir konnten in den letzten Jahren das Haus mit hohen Kosten ein weiteres Mal sanieren, außerdem ein neues Kunstmuseum schaffen und wollen demnächst ein Mehr-Sparten-Jugendtheater bauen“, schilderte der Oberbürgermeister gegenwärtigen Glanz.
Dass es gelang, das Theater 1992 zum Staatstheater mit paarigem Finanzierungsmodell von Land und Stadt zu machen, sei eine „sehr weitsichtige“ Entscheidung gewesen, erinnerte der Redner. Ein Glücksfall war, dass Christoph Schroth als Intendant und Schauspielregisseur nach Cottbus kam, führte er fort und musste stürmischen Beifall verrauschen lassen, ehe er eine weitere Schlüsselentscheidung lobte: Die Gründung einer Stiftung für Theater und Kunstsammlung habe sich bewährt und schaffe dem Theater Planungssicherheit.
Schauspiel und Konzert
Künstlerische Klammer um die Festreden waren die Uraufführung eines „Kleinen Vorspieles für ein großes Fest“ und am Schluss vom Philharmonischen Orchester die Suite „Die Planeten“ von Gustav Holst.
Das Stück von Bert Koß, früher hier Dramaturg, erzählt seine Geschichte im Titel: „Musen im Rausch“. Die neun Göttlichkeiten der Künste, die übrigens Architekt Sehring gar nicht mochte, weshalb sie erst später ins Kuppelfoyer gestellt wurden, steigen eine Geisterstunde lang von ihren Sockeln und erleben einen verzweifelten jungen Intendanten. Der soll ein Jubiläum inszenieren, aber alle Weltstars haben abgesagt. Der Geplagte (heftig zuckend von Jan Hasenfuß gegeben) wird aufs eigene Ensemble aufmerksam. Da hat er die Stars. Gesine Forberger, Carola Fischer und besonders Anna Sommerfeld ernten tosenden Beifall für ihre Arien.
Originell baut der Autor zwei coole Typen aus Sandow und Kolkwitz ein, Jaqueline und Kevin, gegeben von Kathrin Victoria Panzer und Oliver Seidel, die den Staub aus dem Tempel rocken. Allerlei Musenküsse befördern viel seichten Spaß. „Bedeutung“ geben dem Stück zwei entscheidenden Besetzungen: Als Clown kriecht Landrat Dieter Friese aus der Unterbühne und wird kaum erkannt: „Hier lacht keiner mehr über mich“, knurrt er seinen Text, womit er den jahrelang weggesperrten Humor auf freien Fuß bringt. Der Hausmeister, der schließlich Ordnung schaffen möchte, wird vom echten Intendanten Martin Schüler selbst gegeben.
Bald darauf tritt der ohne Maske ans Pult und begrüßt mit dem klugen Leitgedanken: „Träumen wir nicht alle davon, mit der Weisheit des Alters möglichst auf ewig jung zu bleiben? Das aber kann nur das Theater, ein Ort, an dem die Flüchtigkeit unseres Alltags aufgehoben wird...“
Planetarische Musik
Das „Planeten“-Werk beschließt das Programm, das mit dem Bild einer einzelnen Glühbirne begann. Gebrauchsgegenstände dieser Art waren Neuheiten in Sehrings Schaffenszeit; er setzte sie künstlerisch ein, nackt, zusammengefügt zu einer Sternenkuppel wie in Schinkels Zauberflöten-Bühnenbild. Das regte Studenten an, viele Sternenhimmel im Schillerpark anzulegen. Ihre Wirkung ertrank an diesem Abend leider im Regenguss. Als Planeten schwebten die Sterne musikalisch und in Videoanimation (hergestellt von wallat & knauth) über die Bühne. Es sind Planeten voller Mystik, in denen bewegte Bilder vergangener Inszenierungen schimmern. Schade, dass sich das Erinnern auf nur 15 Jahre von 100 reduziert.
Evan Christ peitscht seine Musiker mit jugendlichem Temperament durch den Kosmos, holt alles aus jeder Stimme, zaubert feinste Tonketten, die sich aber nie wirklich zu Melodien fügen. Es ist eine ungewöhnliche Musik, die der Brite Gustav Holst in jener Zeit schrieb, als am Cottbuser Theater die Oper aus Kostengründen eingespart wurde. Man erlebte hier damals den später als Operettenkomponist berühmten Eduard Künneke. Aber dieser Holst ist ein ganz anderer, einer, mit dem Evan Christ Planetenreigen antreiben kann. Vier Stücke steigern die Spannung: Mars, Venus, Merkur, Jupiter. Die fernen Körper Saturn, Uranus und Neptun säuseln unspektakulär. Noten zu Pluto gibt es nicht; der war, als die Musik entstand, noch nicht entdeckt.
Die Blicke richteten sich schließlich im Freien zu den Gestirnen. „Feuerwerk“ hieß der Programmpunkt, dem nur noch Geburtstagstanz auf der Bühne mit “nAund“ und mit „Four in a Row“ in der Tischlerei folgte. Nun hatten die Eltern Gelegenheit zu Bewegung wie die Kinder am Vormittag. Mit ihnen war das Fest märchenhaft hinter den Kulissen begonnen worden. Fast 2 000 Schüler tourten durchs Geburtstagshaus. „Unser erwachsenes Publikum von morgen“, freute sich Intendant Martin Schüler.
Die Feierlichkeiten setzen sich heute fort mit der Premiere der „Walküre“ aus Wagners „Nibelungen“ (18 Uhr) in Regie von Martin Schüler, musikalischer Leitung von GMD Evan Christ. Sonntag wird der Grünebaum-Preis verliehen. Der Festakt ab 11 Uhr ist öffentlich.


Gar nicht „gestelzt“ kam das Jubiläumsfest zum 100. Theatergeburtstag daher - trotz roten Teppichs und viel Sicherheit wegen des Bundespräsidenten. Schon vorm Eintreten der Gäste war Spiel angesagt. Die gute Laune hielt bis nach Mitternacht an Foto: Marlies Kross

Oben: Ausreichend Zeit für Pausengespräche - hier zwischen Redaktionsleiter Jürgen Heinrich (l.) und Prof. Hinrich Enderlein. Ihm verdankt Cottbus zu großen Teilen heutiges Theaterglück, denn Enderlein (FDP) machte als Kulturminister der ersten brandenburgischen Ampelkoalition (SPD, FDP, Grüne) aus dem Stadttheater ein Staatstheater mit entsprechender Finanzausstattung und unterzeichnete auch die Intendantenvertrag mit Christoph Schroth

Unten: Wer draußen auf dem Schillerplatz das Festprogramm verfolgte, musste sich warm anziehen, musste aber nicht auf Begegnungen mit Prominenz verzichten. Hier haben Alt-Intendant Christoph Schroth, der noch fleißig inszeniert, und seine Frau, die Schauspielerin Babara Bachmann, den Weg ins Freie und zu ihren Fans gefunden Fotos: Gabi Grube



Oben: Für Theaterleute ist das Jubiläum wie Klassentreffen. Hier begegnen sich der streitbare Regisseur Dieter Roth (l), der 1982 bis ‘90 das erregende Schauspiel der Vorwende inszenierte, und der Sänger Hans-Joachim Schröpfer, der dem Ensemble 33 Jahre angehörte und dem Haus bis heute die Treue hält Foto: JH

Unten: Mit dem „Osterspaziergang“ sucht „Faust“ Kai Börner die coole Jacqueline aus Sandow zu bestürmen. Erato muss ihn zu heftig geküsst haben, findet wohl auch Kevin aus Kolkwitz, der dort einen Gartennachbarn hat, das was Großes beim Theater war, wozu den Freunden des Hauses nur Hans-Joachim Schröpfer einfällt, der an diesem Tag mit manch anderem früheren Kollegen im Publikum saß Foto: M. Kross


Herzliches Willkommen für Bundespräsident Horst Köhler und seine Gattin. Weil draußen genau im Moment seiner Ankunft Platzregen niederprasselte, wurde es eng im unteren Foyer für Ehrengäste, den Intendanten (r.), den Oberbürgermeister mit seiner Partnerin (l.) und die drängelnden Fotografen
Foto: Marlies Kross































Ein prächtiges Feuerwerk über dem Staatstheater lockte die geladenen Geburtstagsgäste auf die Straße
Foto: Gabi Grube

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