aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Der Stoff, aus dem Träume gemacht sind
Anmerkungen zum neuen Mehrspartenprojekt „Der Sturm“ in Regie von Martin Schüler

Cottbus. Es sind genau die Wellen von Kap Hoorn bei Windstärke 8. Sie nehmen grau-zerrissen schäumend die ganze Vorhangfläche ein. Die Musik stöhnt und jagt jaulend dahin. In heller Mitte steht hochdramatisch Prospero auf dem Fels und dirigiert mit großer Geste - eine Lichtgestalt. Und er dirigiert schicksalsschwer. Der Dreimaster (ein Schiffsmodel) wird von meergrauen Tänzern wogend und tosend durch diesen Orkan getragen und versinkt schließlich. Die Geschichte, die sich der Zauberer Prospero gemacht hat, kann beginnen. Es ist, wie es im Text heißt, „der Stoff, aus dem Träume gemacht sind - und unser kurzes Leben vollendet sich im Schlaf.“
Endlich ein schönes Märchen auf der Bühne. Dank Shakes-peare, dessen letztes Werk dies sein soll, dank Jean Sibelius, dessen letzte Komposition das ebenfalls sein soll, und dank Martin Schüler, dessen letzte Regiearbeit dies hoffentlich nicht bleibt.
Das Märchen erzählt von einem belesenen Mann, der sein Reich verliert, mit seiner Tochter in einem Boot ausgesetzt wird, auf einer Insel strandet und dort mit seinem Zauberbuch alle Wesen und Naturgewalten zu beherrschen lernt. Er hat wohl viel Spaß dabei; auch, als oben erwähntes Schiff, besetzt mit seinen Feinden, in Inselnähe gerät und er, Prospero, es in den Sturm und gegen die Klippen dirigiert. Dieser Zauberer ist Frieder Venus, ein Gast an der Cottbuser Bühne, der große Güte und Nachsicht ausstrahlt, der gelassen und mit samtener Stimme die Geschehnisse führt. Die werden zumeist ohnehin von Musik (Musikalische Leitung GMD Reinhard Petersen) getragen und getrieben. Die Geistergesänge (Heidi Jütten als Luftgeist, Gesine Forberger als Geist Juno) ertönen in englischer Sprache, direkt also aus „The Tempest“ von Sibelius, dessen Bühnenstück gut 300 Jahre nach Shakespeares „Der Sturm“ entstand.
Die Bühne ist eine gut variable Felseninsel, auf der das Ballett viel Arbeit für Geisterreigen hat, die es - Ton in Ton mit dem grauen Gefels - auch hervorragend leistet. Eigentlich im Mittelpunkt steht das junge Paar: Miranda, die Tochter von Pros-peros (Judith Patzelt) und Königssohn Ferdinand (Jan Hasenfuß). Beide finden sich in allem Tumult um Rache und Vergebung, in dem es - typisch Shakespeare - auch an lausigen Liedern nicht fehlt, bei denen Heiko Walter (Stephano) mit seinem Kumpel Trinculo (Dirk Kleine) hoch in Form kommt. Hans-Peter Jantzen ist der erschöpfte König von Neapel, Michael Becker sein Bruder Sebastian. Als Antonio, Prosperos Bruder, taucht Kai Börner auf, der nach der Pause regelrecht kaputt geht und mit wackelndem Kopf an die Wand läuft. Als Ratsherr Gonzalo wiegt Wolf-Dieter Lingk seine Worte in den Händen, und Hardy Brachmann ist der geradezu verrückte Sklave mit Flossenfüßen. Am Schluss ordnet Bootsmann Wolfgang Kaul die letzten offenen Fragen.
Ein wundervoller Märchen-„Sturm“ tobt in unserem Theater. Hauke Tesch hatte die Co-Regie, Gundula Martin ersann die abenteuerliche Bühne, Susanne Suhr die romantischen Kostüme.
Für den Chor ist Christian Möbius verantwortlich, die schönen Choreografien besorgte AnnaLisa Canton. Obgleich die Premiere nicht ausgebucht war (vielleicht wegen des Bayern-Spieles?) gab es viel Beifall für einen genussvollen Märchenabend. J.H.

Frieder Venus als Prospero
vor seinem Zauberbuch
Fotos: Marlies Kross

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