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Ministerpräsident: „Manche Sache muss erneut auf den Prüfstand“
Ministerpräsident bescheinigt Forst Potenziale und gute Chancen für 2013

Forst (gg). Zwischen Landtagsdiskursen über Babymorde und Bodenreformunrecht hatte Ministerpräsident Matthias Platzeck am Dienstag eineinhalb Stunden für die Rosenstadt Forst freigehalten und erschien gut gelaunt im Hotel WIWO, wo er vor rund 100 Forstern in einer Gesprächsrunde der GRÜNEN Heimatzeitung auf Fragen von Bürgermeister Jürgen Goldschmidt und Moderatorin Gabi Grube antwortete. Hier der Extrakt in Stichworten.
Schwächen schwächen?
Zuerst kommen die 15 regionalen Wachstumskerne zur Sprache, zu denen Forst nicht gehört. Dennoch entstehen Arbeitsplätze in der Solarglasindustrie und demnächst auch bei einer holländischen Kabelproduktion. Platzeck. „Es wird keine Fortsetzung des Solidarpakts nach 2019 auch keine EU-Förderung mehr geben. Es ist also viel sinnvoller an Strukturen zu bauen, die das Leben nach den Fördermitteln möglich machen und das Forst zeigt, dass das gut geht!“ Platzeck verweist auf die wachsenden Vorteile, die die Lage an der Grenze bringt. Investoren entscheiden sich seit etwa zwei Jahren bewusst für Grenznähe - in Frankfurt und Eisenhüttenstadt sei das auch so gewesen. Die polnischen Grenzregionen haben die besten Wachstumszahlen Polens - das habe demnächst auch Wirkung westseits der Grenze.
Fachkräftesicherung
Goldschmidt berichtet von 400 Bewerbern für die Kabelproduktion, von denen gerade 40 die Einstellungskriterien erfüllten. Platzeck bestätigt: das Problem werde sich 2009/2010 weiter verschärfen und er setzt auf Bildungspolitik. Mehr Frauen müssten sich für Männerberufe begeistern - eine Werbeaufgabe, die auch die Wirtschaft zu leisten habe. Die Studierendenquote müsste erhöht werden, auch aus den Reihen der Hartz IV-Bezieher: „Wer in technischen Berufen studiert, hat meist schon im vierten Semester den Arbeitsvertrag sicher!“ Das käme der Wirtschaft und den jungen Leuten zugute.
Kinderbetreuung
Das führt direkt zur frühesten Stufe der Bildung - in die Kinderbetreuung. Während sanierte Kommunen wie Spremberg kostenlose Kindergartenjahre finanzieren können, ist das in Forst mit hohem Schuldenstand nicht möglich. Platzeck: „Ich halte nichts davon, pauschal Betreuung kostenlos anzubieten. Sinnvoll ist eine Sozialauswahl, damit nicht für gut Verdienende mitbezahlt wird!“ Das wenige öffentliche Geld werde an anderen Stellen mehr gebraucht.
In Planung sei deshalb - noch wird darüber im Landtag gestritten - ein Schulsozialfonds für Schulleiter, aus dem die Unterstützung bekommen, die sie nötig haben.
Gesundheitsversorgung
Goldschmidt berichtet über die Forster Sorgen bei der Krankenhausfinanzierung und das unzumutbare regionale Gegeneinander bei so wichtigen Schlüsselthemen wie Gesundheitsvorsorge. Platzeck bleibt diffus: Man wisse nicht alles über den Prozess der schrumpfenden Städte - das alles sei nicht untersucht. Dann konkreter. Ambulante und stationäre Versorgung gehöre nicht mehr getrennt. Gerade in dünn besiedelten Gebieten sei die wechselseitige Auslastung der Kapazitäten ein Schlüssel zur Lösung des Problems. Der Osten Deutschlands werde vom Gesundheitsfonds profitieren, der ab 2009 mit Steuergeldern die Versorgung in überalterten Regionen stützt. Forst bleibe aber als Klinik-Standort gesetzt, aber man könne die Ärzte nicht zwingen, hier Dienst zu tun. Wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorgezogen werde, könnten polnische Ärzte früher die Lücken schließen.
Ortsumgehung
Forst in der Klemme bei der Verkehrsfrage. Die polnischen Nachbarn haben ihre Straße zur Grenze breit ausgebaut und hoffen auf die Öffnung des Grenzübergangs Sacro, weil davon wesentlich ihre wirtschaftliche Entwicklung abhängt. Das ist bislang nicht möglich, weil ein westliches Stück Umgehungsstraße fehlt. Zurückgestellt wegen zu wenig Verkehr. Der würde aber kommen, wenn die Solarglasfabrik erst ihre Produkte nach Frankfurt bringen will. Platzeck macht Hoffnung: Ein Kriterium beim Straßenbau sei künftig auch die Frage „Was tut sich bald?“ Der Wegfall der Grenzkontrollen bringe mehr Bewegung in die Region als erwartet. Verkehrsminister Reinhold Dellmann müsste sich das Thema Forst er Ortsumgehung deshalb noch einmal vornehmen.
Korridor auf Schienen
Wenn erst der BBI-Flughafen in Schönefeld fertig ist, wird durch Forst die Bahnstrecke nach Breslau und Krakau führen. Vielleicht. Denn am europäischen Verkehrskorridor 3 - so heißt er in europäischen Planungen - wird von vielen Seiten, auch von den Sachsen, gezerrt. Platzeck: „Wir werden im Oktober ein Gipfeltreffen der Oderpartnerregionen haben, um darüber zu reden. Bis dahin müssen wir nachweisen, dass Forst dabei eine wichtige Rolle spielt!“
Vielleicht helfe ja dann die Schilderung der Tatsache, dass Forst auch den vielen Landesgartenschaubesuchern 2013 einen Bahnanschluss bieten müsse, meint Moderatorin Gabi Grube und will dem Ministerpräsidenten auch zu diesem Thema noch ein Statement entlocken. Forst hat sich als eine von sechs Städten für die Ausrichtung der LaGa beworben. Natürlich kann vor Bekanntgabe der Ausrichtungsentscheidung im nächsten Frühjahr nur gescherzt werden. Aber Platzeck bescheinigt der Rosenstadt an diesem Abend: „Euer Brandenburgtag ist gut angekommen und als Rosenstadt mit dem 100jährigen Park habt ihr beste Voraussetzungen!“
Gelb-Rot funktioniert
Dass das gelb-rote Miteinander einen Abend lang gut funktioniert hatten Platzeck (SPD) und Goldschmidt (FDP) bis dahin schon nachgewiesen. dann gab’s am Ende noch eine Steigerung: Mit der Frage nach einem Kommentar zu Becks Koalitionspolitik in Hessen. Drei Tage Urlaub hatte Platzeck im Januar in den hessischen SPD-Wahlkampf investiert und mahnt angesichts der Koalitionsverhandlungen zu Pragmatik: „Gewählte demokratische Parteien zu verteufeln, ist immer ein Fehler“, so Platzeck. Er habe mit den Kollegen der Linken seit vielen Jahren zu tun und rate seinen Westkollegen immer, zu schauen, wo man was zusammen machen kann. An den Forster FDP-Bürgermeister gewandt, ergänzt er mit Blick auf die Landtagswahl in Brandenburg: „Ihr Gelben, schlaft nochmal drüber und guckt genau, dass ihr nicht in der Besenkammer landet. Die Kanzlerin hat diese Woche von den Grünen als Top-Koalitionspartner geschwärmt. Guckt doch noch mal, ob nicht Rot-Gelb-Grün nicht auch was Nettes für unser Land wäre!“



Ministerpräsident Matthias Platzeck über Bürgermeister Jürgen Goldschmidt (li.) „Er hat, was man in seiner Position braucht: Freundliche Penetranz!“ Einen Abend lang ging es mit Moderatorin Gabi Grube um die Forster Zukunft Foto: Ha.

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