aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Potzlow kann überall im Land sein
Anmerkungen zur Inszenierung des dokumentarischen Theaterstücks „Der Kick“ in Regie von Esther Hattenbach / Schüler sehen Versagen „ganz oben“

Cottbus. Die abscheuliche Geschichte ist wirklich passiert. Im uckermärkischen Dorf Potzlow haben junge Männer einen der Ihren sadistisch gefoltert und tot gemacht. Es sind primitive Typen aus rohen Verhältnissen. Unterste soziale Schicht, selbst gedemütigt bis an die Grenzen des Erträglichen. Sie saufen sich ein Weltbild her, in dem sie zu den Starken werden. Weil es unter ihnen nichts und niemanden gibt, schaffen sie sich ihren Ersatz-Juden. Marinus, der Schwächste, wird gepeinigt, erschlagen, vergraben. Die tumben Täter (im realen Fall zu 8 und 15 Jahren Gefängnis verurteilt) gehen zur Tagesordnung über. Eltern, Leute im Ort, Verhörende, Staatsanwalt, Gutachter, reagieren irritiert. Niemand sieht Mitschuld, findet Ansätze für eigenes Versagen.
Esther Hattenbach hat die Dokumentation inszeniert, um Sprachlosigkeit aufzubrechen. Sie will diskutierendes Publikum - in der schwarzdunklen Kammerbühne oder vielleicht auch an Spielorten in Schulen.
Das ist schwierig.
Dass die vielen mitwirkenden Personen körperlich neutralisiert bleiben, indem nur zwei Menschen die Texte sprechen, ist ein Konzentrations-Kunstgriff. Susann Thiede wechselt mit sparsamster Gestik, nur mit wechselnder Körperhaltung, Stimmlage und Mimik von der überforderten Mutter zur sensiblen Räuberbraut und zum distanzierten Verhörer. Gunnar Golkowski ist Täter und Mittäter, Vater, Pfarrer, Gutachter. Sein Marco, spätestens im Knast zur blödsinnigen Bestie verkommen, macht Angst.
Hatte das Dorf, hatte die Umwelt die Chance, die Katastrophe zu verhindern? Diese Frage vor allem will das Theater stellen, und die Antworten werden sehr unterschiedlich ausfallen und schon bald zur Schuldsuche kommen. So war es auch nach der Premiere. Zwölfklässler einer Cottbuser Gesamtschule waren von den schauspielerischen Leistungen begeistert. In die dargetanen Niederungen besser einzusteigen, hielten sie aber eher für ausgeschlossen.
Schon unter verbal verrohenden Siebentklässlern, die ihrer Schule eben zugewiesen würden, hätten sie keine Chance, gegen Grobheiten zu wirken. Die Versager, so klang die Meinung durch, sind weiter oben zu suchen - an den Spitzen einer Gesellschaft, die Harzt IV zum „Berufsbild“ werden ließ. Auch so ein Mädchen, in einer Medienpolitik, die ganztägig Brutalitiät in vielen Fernsehprogrammen in jedes Haus pumpt. Und: Die vielen Verbote seien Schuld, die Alkohol, Rechtsextremismus und solche Sachen begehrenwert erscheinen lassen. Es gab trotz aller Betroffenheit sehr viel Beifall für eine starke Inszenierung. Aber es gab auch die Frage: Müssen Stücke „für die Jugend“ wirklich immer nur
solcherart sein? J.Heinrich



Susann Thiede und Gunnar Golkowski verkörpern 17 verschiedene Personen einer Dokumentation, die im Wesentlichen auf polizeiliche Vernehmungsprotokolle zurückgreift. Darstellerische Phantasien lassen sich hier kaum ausleben; wo Typen
zu zeichnen sind, geschieht das mit
sparsamen Mitteln und die
kurzen Monologe gehen unter die Haut

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