aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Jeder gute Philosoph denkt über Technik nach
Warum an einer technischen Universität die Geisteswissenschaften unabkömmlich sind

Cottbus (gg). In seinen Antworten liegt System. Prof. Walther Zimmerli nummeriert sie gern durch von 1 angefangen, baut die Argumentation Schritt für Schritt auf. Das lässt seine philosophische Systematik erkennen und die, so sagt er, helfe nicht nur Probleme zu erkennen, sondern auch, sie zu lösen.Daher sind auch Geisteswissenschaften an Technischen Universitäten erforderlich. Spaß zu bekommen am Denken, die Welt versuchsweise aus einer anderen Perspektive zu sehen- das, so sagt er, ist für ihn Kreativität. Dazu gehöre auch das Nachdenken über Technik, die ja zu unserer technologischen Zivilisation gehöre.
Dieses fachübergreifend auch in der Lehre weiter zu verfeinern, sei eine seiner Aufgaben an der BTU. Dabei erweise sich die Geisteswissenschaft auch als förderlich, wenn es um praxis-taugliche Absolventen gehe: „Die Wirtschaft fordert von uns entweder `Rohlinge`, die je nach Anforderungen in der Praxis weiter geformt werden. Oder sie braucht tatsächlich fachübergreifend denkende Köpfe, die mehr als nur ingenieurtechnische Kompetenzen haben!“
Reallabor Lausitz
Und ihre Schwächen zu Stärken zu machen, das sei eine nächste Aufgabe: Die Lage am östlichen Rand Deutschlands mitten in der Bergbau- und Kohleregion, die als Reallabor Chancen eröffne für Forschung an modernen Technologien. Darin liege der Vorteil, den die nahe Konkurrenz, die die TUs Berlin und Dresden so nicht zu bieten haben. Von heute 4 600 Studenten könne die BTU dann auch bis auf 6000 Studenten wachsen und eine gesunde Verteilung von Studierenden auf die verschiedenen Fächer erreichen. Dabei bricht er auch aus Sicht seiner BTU eine Lanze für die Braunkohle: „Sie wird länger reichen als Uran und Öl und wenn wir die CO2-arme Technik entwickeln können, dann haben wir was gekonnt!“ In Mondlandschaften zu forschen, die die Entstehung eines natürlichen Systems von Null an ermöglichen, dafür gebe es nirgendwo bessere Bedingungen. Ein Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist bereits eingerichtet.
Mittel zum Zweck
Ganz nah liege dabei auch die Chance, Drittmittel aus dieser Praxisnähe zu schöpfen. Bedenken, dass privat finanzierte Forschung nicht mehr unabhängig wäre, teilt er nicht: „Die Erfahrung zeigt, dass sich die Wirtschaft viel weniger in Forschung einmischt, als es der Staat zu tun pflegt!“ Zimmerli spricht hier auch aus der Erfahrung, die er an privaten Hochschulen und an der AutoUni des Volkswagenkonzerns sammeln konnte. Und verteidigt den Zusammenhang: „Warum soll gerade eine Technische Uni von der Wirtschaft geschnitten werden?“
Ethik-Exkurs
Der Exkurs in diesen niedersächsischen Teil seiner Vergangenheit bringt die Sprache auch auf Peter Hartz aus dem VW-Vorstand, dem Zimmerli angehörte, und dessen Scheitern in der Öffentlichkeit er zu erklären und zu relativieren versucht. Er spricht von Mikropolitik, die nicht immer korrekte Mittel eingesetzt hat, die aber auch effektiv war im Sinne des Unternehmens. Nichts jedenfalls, womit sich ein Weltrat für Ethik beschäftigen würde.
Auch da ist Zimmerlis Rat gefragt - einmal im Jahr, wenn es um Fragen der Moral und Ethik im weltweiten Maßstab geht.

Claudia Eckert (li.), an der BTU in der Verwaltung beschäftigt, will am Dienstag Zimmerlis erste Vorlesung besuchen. Das Thema „Wissen ist Machen!“ Dr. Friedrich Bude (re.), Inhaber von 200 Patenten, kommt mit Prof. Zimmerli über die Geheimnisse des Patentwesens ins Gespräch. Beide sind sich einig: Publikationen und Patente sind Ausdruck der wissenschaftlichen Kompetenz einer Hochschule!	  Fotos: Ha.

Zu Gast bei Gabi Grube war:

Landwirtschaftminister Dietmar Woidke: „Das System muss ausgewogen sein - das ist noch nicht immer der Fall. Es gibt Verlierer und Gewinner der Entwicklung!“

 

 

 

 

 

 

Prof. Walther Ch. Zimmerli antwortet systematisch, aber auch immer unterhaltsam: „Mein erster Besuch in Cottbus, bei dem mir zuerst die Bibliothek meiner Schweizer Landsgenossen gezeigt wurde, hat mich überzeugt. Dann musste ich noch schwierige Verhandlungen mit der Ministerin führen. Eine sehr charmante Person übrigens!“

Prof. Walther Ch. Zimmerli / Zur Person:
Walther Christoph Zimmerli wurde 1945 in Zürich als Sohn eines Theologieprofessors geboren. Zimmerli studierte Philosophie, Germanistik, Anglistik und eine ganze Reihe wissenschaftlicher "Interessenfächer" an den Universitäten Göttingen und Zürich. 1971 wurde er in Zürich promoviert, 1978 habilitiert. Seine wissenschaftliche Lehrtätigkeit führte ihn an die Universitäten Braunschweig, Göttingen,Bamberg und Erlangen/Nürnberg sowie Marburg. Bis 2002 war er Präsident der Privaten Universität Witten/Herdecke, von 2002 bis 2007 Gründungspräsident der AutoUni und Mitglied des Topmangagements der Volkswagen AG in Wolfsburg. Er hatte Gastprofessuren in den USA, Australien, Japan, Südafrika und Europa. Der Träger des internationalen Forschungspreises der Alexander von Humboldt-Stiftung ist aktuell u.a. Mitglied des Weltrates für Ethik. Professor Zimmerli ist seit 1966 mit Ellen H. Wieser verheiratet. Das Paar hat drei Töchter und einen Sohn. Hobbies von Zimmerli sind Bergwandern und das Sammeln von bibliophilen Bücher-Ausgaben sowie von Kupferstichen.

Das vorsichtige Fazit dieser Runde:

: Einen Gründerboom im Zusammenhang mit der Forschungstätigkeit der BTU kann und konnte sich auch deshalb nicht in der ursprünglich geplanten Weise einstellen, weil sich die örtliche Wirtschaft vor allem in Richtung Dienstleistung entwickelt hat
: Dennoch erwartet Prof. Zimmerli durch den Flughafen Berlin-Brandenburg international eine Schwerpunktverlagerung für die Zulieferindustrie in Richtung Süden Brandenburgs, dadurch kann auch die Lausitz eine zweite Chance für die Entwicklung einer modernen Zulieferindustrie bekommen
: eine weitere Chance liegt im Ausbau von Kompetenzen bei der Forschung für eine umweltgerechtere Kohleverstromung



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Was bringt uns die Öffnung der Grenzen nach Polen? Mit dem Bundespolizeiamt FF(O) und Unternehmer Reinhard Schulz, der grenzüberschreitend tätig ist

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