aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Pfiffige Reduktionen
Mit Sewan Latchinian setzt Senftenbergs Theater die deutsche
Kritikerzunft in helles Entzücken

Region (J.H.). Er hat in Schwerin, Berlin und Senftenberg auf der Bühne gestanden, hat Regie geführt in Berlin, München und anderen Orten, auch in Cottbus. Richtig bekannt aber machte ihn eine Kritiker-Wahl: 39 unabhängige Rezensenten des Fachmagazins „Theater Heute“ wählten die Neue Bühne Senftenberg, nachdem er ein Jahr lang hier Chef war, zum „Theater des Jahres 2005/06“!
„28 000 Einwohner, kein Kino, aber ein Theater“ konstatierte dieser Tage eine TV-Reportage. Rundum Gruben, 30 Prozent Arbeitslosigkeit, aber 60 000 Theaterbesucher im Jahr, lässt sich der Kontrast ergänzen. Nur Sewan Latchinian kann die scheinbaren Unmöglichkeiten aufklären. Der Intendant (seit 2004) war Anfang der Woche Gast bei Gabi Grube am „Künstler-Stammtisch“ im angesagten Cottbuser Presse-Café DoppelDeck.
Der 46-Jährige kokettiert nicht mit dem Kahlkopf. Die Haare verlor er, „weil mir einmal sehr heiß wurde, als der Direktor der Erweiterten Oberschule meine Relegierung empfahl und fast alle Schüler dem zustimmten.“ Querelen mit der Obrigkeit hatte er, aber nur mit den „DDR-Salonkommunisten“. Seine Wurzeln sind tiefrot. Vater, ein Armenier, wuchs im Libanon auf, war illegaler Kommunist, studierte in Bulgarien, wo er die Kommilitonin aus Weimar traf - „wodurch es mich geben durfte.“ Die weltläufige Familie mit vielen Gästen im Haus regte konkretes Denken an, das Schauspiellehrer später vertieften. Christoph Schroth, langjähriger Indendant in Cottbus, jetzt noch Gastregisseur in Senftenberg, „brachte mir schon in der Schauspielschule bei: Denk’ ganz präzise, dann formuliere!“
Latchinians Sätze sind präzise gedacht, klingen wie Lehrsätze. Gültig. Verlässlich. Zum Beispiel. „Kultur ist teuer, Unkultur aber teurer.“ Und: „Kunst kommt oft aus Not, kann aus Hässlichkeit Schönheit schälen.“
Im Westen, wo er zuletzt war, (Neuss am Rhein) hat er das vermisst. „In den verbrauchten Bundesländern sind die fertig, was Weltgeschichte betrifft. Da ist nichts mehr auszuprobieren.“
Ganz anders hier. Hier im abseitigen Senftenberg. „Provinz“, sagt Latchinian (und wieder schwingt Schroth mit), „ist nie eine Frage des Ortes - es ist eine Denkweise.“ Er kam von besungenen Rhein an die stimmlose Schwarze Elster, „um ein Theater unschließbar zu machen.“ Das geht, weiß er heute, wenn man an der Welt rüttelt („Nur mit weniger Reichtum wird es weniger Armut geben“) und das Instrument nicht mit der vollen Stunde fallen lässt. „Theatermacher können sich selbst abschaffen, wenn sie liebe Privilegien aus reichen Zeiten behalten wollen.“ Senftenberg ist seit 2004 Stress. Latchinian definiert: „Stress ist Glück im Namen der Kunst“. Weniger poetisch: 18 Premieren im Jahr, 80 Gastspiele in zwei Jahren, und das mit 20 spielenden Leuten. Viele Inszenierungen bedienen viele Leute, Ur- und Erstaufführungen gefallen gar nationaler Kritik. Aus Senftenberg - dem Theater, das 1946 entstand und heute jung und prominent ist wie nie zuvor. Soll all das, fragt der Intendant, sterben, weil ab 2009 eine halbe Million Euro fehlen? Der Landrat des Oberspreewald-Kreises und Senftenbergs Bürgermeister fordern vom Macher mehr Mäßigung. Finanziell.
Ein dreifaches Intendantengehalt lockt den umworbenen Latchinian nach Oberhausen. Vom Braunkohlentheater zur Steinkohlenbühne. Doch der will bleiben, den Faust machen (siehe Kasten links) in zwei Teilen und pfiffiger Reduktion. Erstmal. Und dann?



Wie weiter nach 2009? fragt sich Sewan Latchinian für die Lausitzer Theaterlandschaft. In Senftenberg wie in Cottbus laufen Verträge der künstlerischen Vorstände aus. Wird auch Geld umverteilt? 19 Millionen Euro gibt das Land fürs Theater in Cottbus, nur 4 Millionen für Senftenberg. Liefert Cottbus ausreichend Kunst für soviel Geld...? Am Künstler-Stammtisch im DoppelDeck grübelte der Intendant laut
Foto: BeWe





GlückAufFest FÄUSTE
In Goethes „große Welt“ per Shuttle-Bus

Für Ende September inszeniert Sewan Latchinian in Senftenberg den Faust, I. und II. Teil am Stück von 16 Uhr bis Mitternacht. Die „piffige Reduktion“ führt diesmal vor allem im II. Teil des Goetheschen Alterswerkes zu unverhofften Sichten. Während Teil I (fast) klassisch im festen Haus gegeben wird, verteilt sich das Publikum zu Teil II auf sechs Shuttle-Busse. Ihr Aufbruch in die große Welt führt Faust und Mephisto an vier Spielorte: In der Senftenberger Sparkasse erfinden die Protagonisten das Papiergeld; im Labor der Fachhochschule trägt sich die Zeugung des „Homunculus“ zu; Antike und Abendland führen Faust und Helena mit ihrem Liebesakt im Schloss zueinander; doch dass die Vision von einem „freien Grund mit freiem Volk“ eine Utopie bleiben muss, wird sich an der Tagebaukante von Reppist ernüchternd erweisen.
Die Kartennachfrage dürfte die Bus-Kapazitäten übersteigen.
Kontakt: www.theater-senftenberg.de

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