Cottbus
(gg). Edmund Stoiber wird ihm eines Tages fehlen, sagt Diplom-Psychologe
Heiko Sill aus Potsdam, der am Donnerstag zum 250. PolitPiano-Talk
als Fachexperte für die Sichtung von Videoschnipseln geladen
war. Politiker-Aussagen auf Wahrhaftigkeit zu prüfen, ist
seit Jahren sein Hobby, dessen Früchte man auch wöchentlich
im Radio verfolgen kann. Als Stoiber-Ersatz hatte Moderatorin
Gabi Grube filmisch Polit-Prominenz von Eppelmann bis Markus Wolf
aufgeboten und mit dem Abstand von manchmal einigen Jahren ließ
sich Einiges analysieren. Dass Ministerpräsident Matthias
Platzeck 2003 noch wenig Alternativen sah zwischen der Investition
in Großprojekte oder dem Nichtstun, widerlegte wenig später
Ulrich Junghanns mit seinem Ansatz, Kompetenz-Zentren landesweit
zu fördern. All das auf Filmen mitgeschnitten, konnte jetzt
nicht nur auf Inhalt getestet werden.
Ob Gesten, Schachtelsätze oder Denkpausen - Heiko Sill kann
in nachvollziehbare Worte fassen, was mancher unbewusst auf den
Videoschnipseln beobachtet: Wenn der Zuhörer nach drei,
vier Minuten langsam gedanklich abdriftet, aussteigt aus dem Erzählzug
und beginnt Blümchen zu pflücken, dann ist er nicht
etwa zu ungebildet oder zu gestresst, sondern der Politiker hat
es nicht verstanden, mit seiner Rede zu fesseln! Und tatsächlich:
Für Junghanns` gute wirtschaftliche Ideen sind ihm auch im
Doppeldeck die Hörer zuweilen abhanden gekommen.
Anders bei Markus Wolf, der seinen Agenten-Job in völlig
gestörter Selbstwahrnehmung mit dem eines Journalisten gleichstellt.
Sill versucht aber auch Verständnis zu wecken: Politiker
werden oft von sich selbst überwältigt. Kameras, die
stets auf sie gerichtet sind, vermitteln den Eindruck, sie wären
wichtig - und so kommt ein verzerrtes Selbstbild zustande!
Besonders unterhaltsam wird es, als Videoschnipsel vom OB-Kandidatenduell
Holger Kelch gegen Frank Szymanski ausgewertet werden. Mitten
im Haushaltsstreit verfällt Szymanski ins vertrauliche Du
gegenüber seinem Kontrahenten. Eine Dominanzgeste,
die eindeutig Machtansprüche signalisiert, analysiert
Sill in Anwesenheit des heutigen Stadtchefs Szymanski, der das
mit einem Lächeln quittiert.
Der Psychologe hat außerdem seine Freude daran, zu sehen,
wie Franz Müntefering langsam vom gewohnten eineinhalb-Minuten-Stakkato
ins Plaudern kommt und lobt, wie viele Stammgäste, das dafür
wie geschaffene PolitPiano-Format: Nicht einmal aus Potsdam
kenne ich solch ein ambitioniertes und dauerhaftes Bemühen,
um Politik und Gesellschaft nah erlebbar zu machen!
Trefflich tratschen ließ es sich an diesem Jubiläumsabend
mit dem geborenen Cottbuser, der auch in Wahlkampfberatung schon
Erfahrung hat, auch über illustre Erscheinungen am Berliner
Polit-Himmel von Cornelia Pieper, die einst Gast im Doppeldeck
war, bis zu Ursula von der Leyen oder Angela Merkel. Blümchen
pflücken in Gedanken war da niemand.
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Heiko Sill,
geboren in Cottbus ist heute Psychologe in Potsdam und berät
Unternehmen und Politik. Mit sympathischer Respektlosigkeit und
Scharfsinn analysierte er Videoschnipsel aus 250. Polit-Piano-Folgen
im Presse-Café Foto: BeWe
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