aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Leise Töne in dröhnend lauter Welt
Anmerkungen zu Shakespeares „Romeo und Julia“ in Regie von M.Thieme

Cottbus (GHZ). Unsterblich ist sie auf den Theatern seit über 400 Jahren, diese so schrecklich traurige Geschichte, die Shakespeare der Menschheit „in zwei Stunden“ (was in Cottbus nicht ganz eingehalten wird) erzählt. Regisseure flechten, mal dick, mal dünner, ihre Zeitbezüge hinein und ziehen in die Länge, was der Altmeister sehr bewusst in Kürze straffte, weil das Ende dann um so mehr erschüttert. Nachdem eine Berliner Bühne aus dem Familienkrieg nun gar eine Auseinandersetzung zwischen Christen und Moslimen konstruiert hat, war für Cottbus Vorsicht geboten. Würde Matthias Thieme (Jahrgang 1976) mit seinem weltumtriebigen Ausstatter Christopher Melching (geb. 1964 in New York, 15 Jahre Designer in San Francisco) Shakespeare ähnlich „aktualisieren“?
Sie taten es nicht, setzten vielmehr auf einen heftigen Kontrast zwischen allem Krach, den friedlose Welt zu zeugen vermag, und innigen, leisen aber auch ganz heftigen Tönen einer leidenschaftlichen, unbescholtenen Liebe. Sie, die Liebenden, waren allein der wertvolle Mittelpunkt dieser Inszenierung, und das machte die Geschichte zu keinem Zeitpunkt langatmig, auch wenn Turnübungen an gleichermaßen erklimmbaren wie abweisenden, sperrenden wie durchlässigen Wänden nicht motiviert waren. Den berühmten Balkon gab es nicht, aber eben doch das Spiel in Höhe und tiefer Ebene, zuletzt viel zu innig und zu lange auf flacher Erde ganz im Bühnenvordergrund, so dass nicht viel vom Leiden der Minen wirklich das Publikum erreichte; nur das Japsen nach Luft, zuletzt dann doch überzogen, erfüllte den Theaterraum.
Christiane Höfler ist eine zauberhaft natürliche Julia, die sich Eltern und der Amme gegenüber ungezogen benimmt, alles vergessend in der so schnell und so heftig während eines Balles entspringenden Liebe. Nichts ist affektiert im Austausch erster verliebter Blicke und später dem Nicht-Loslassen-Können voneinander. Wie füreinander geschaffen gibt sich dieses Paar und spielt sich, als sei kein anderer Darsteller beteiligt am ganzen Stück. Paul Grill ist ein Romeo, der die Welt gerade entdeckt und nicht zum Sterben bestimmt scheint. In wildem Gerechtigkeitssinn rächt er im Affekt einen Mord, erschrickt nach der Tat und bleibt, inzwischen heimlich vermählt mit Julia, bis zum letzten Atemzug erstaunt über die Geschehnisse, über sein unfassliches Glück der Liebe wie das Unglück des Todes. Grill tastet sich durch Text und Szenen wie das eben nur ein junger Mensch suchend vermag, den alle Bosheiten da draußen, und seien sie noch so lärmend getrommelt, im reinen Herzen niemals erreichen können. Cottbus erlebt das klassische Liebespaar in edelster, reinster Ausführung. Beide bekamen den verdient kräftigen Premierenbeifall.
Dabei war das schließlich jubelnde Publikum zu Anfang gehörig eingeschüchtert worden. Ein schmerzendes Tonnentrommeln (Performance Andreas Schulze, u.a. Entwicklungshelfer und Friedenserzieher für Kindersoldaten in Senegal, Gambia und Uganda) ließ die Luft vibrieren. Trommelschlegel wurden zu Prügelwerkzeug, die Bühnenwelt zu einem Ort hemmungsloser Aggression. Dennoch traten einzelne bemerkenswerte Charaktere heraus aus diesem gesellschaftlichen Chaos: Die Rohheit zur Schau stellende zartfühlende Amme (Sigrun Fischer), deren in den Trunk fliehende Herrin und Julias Mutter (Hanna Petkoff, nach fast 20 Jahren wieder an ihrer einstigen Wirkungsstätte), der resolut-hilfreiche Pater (Michael Becker) und Romeos temperamentvoller Freund (Kai Börner). Merkwürdig abwesend, wie nicht dazugehörend angelegt ist der Escalus des Wolf-Dieter Lingk. Dass die saloppe-frivole Sprache der Brasch-Übersetzung gestisch grenzwertig vulgär untermalt wird, mag stören, verschärft aber den Kontrast zum reinen, unverderbten Paar.
Ein sehenswertes Stück. J.H.

Fliehen und finden - statt des klassischen Balkons von Verona gibt es in der neuen Cottbuser „Romeo und Julia“- Inszenierung ersteigbare Wände, deren Benutzung nicht immer motiviert erscheint. Hier hält Julia (Christiane Höfler) nichts zurück beim Hinaufklimmen zu Romeo (Paul Grill

Fliehen und finden - statt des klassischen Balkons von Verona gibt es in der neuen Cottbuser „Romeo und Julia“- Inszenierung ersteigbare Wände, deren Benutzung nicht immer motiviert erscheint. Hier hält Julia (Christiane Höfler) nichts zurück beim Hinaufklimmen zu Romeo (Paul Grill
Foto: Kross
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