aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Flatterhaftes in der Kammerbühne
Drastisches dänisches Jugendstück in der Provinz

Ist das tatsächlich so? Um die Jugend anszusprechen, muss man sie ganz unten abholen, in der Gosse, dort wo die Vulgärsprache nur noch für Insider verständlich ist. Die Ohren hallen von Schimpftirraden, die noch in jedem Schulklo rote Ohren verursachen würden. Einen rechten Grund dafür aber erfährt man nicht in dem neuen Jugendstück „Bis zur letzten Feder“ an der Kammerbühne des Staatstheaters.
Es dreht sich um vogelfreie Mädchen, zuhause auf der Straße, heimatlos, haltlos, chancenlos. Sie suchen sich ihr eigenes Nest in einem Abrisshaus. Geraten darüber doch in Abhängigkeit und Zwänge, letztlich zerbrechen sie daran. Für Luise, den Kopf der Mädchenbande, hat die Freiheit und der Drogenkonsum tödliche Auswirkungen.
Der dänische Autor des Stücks, Jesper Wamsler, hat sich von der Begegnung mit einem Mädchen am Kopenhagener Bahnhof inspirieren lassen. Das als Dialog zwischen Lusie und Vera inszenierte Stück hat Andreas Rehschuh sehr ambitioniert mitten ins Publikum verlegt. Auf Lochblechen, Hängebrücken und mit Schwingseil, von Hans-Holger Schmidt ausgestattet, wird zwischen den Jugendlichen gespielt, wird geflogen und hart gelandet.
Die zwischen heute und gestern pendelnde Erzählsprache verlangt den beiden Darstellerinnen, Teresa Waas und Anna Trimper, alles ab. Mühe steckt drin, etwas zu verkörpern, was man so noch nicht fühlte. Noch nicht mal sah: Denn ist das drastische Gebahren, das oft schrille Schreien der Mädchen-Seelen den 14jährigen aus der Lausitzer Provinz wirklich nah? Die Inszenierung versucht Parallelen zu ziehen zur Lausitzer Umwelt, zeigt Videobilder aus Neuschmellwitz, lässt die beiden Protagonistinnen südlich über Spremberg und Schleife Richtung Weißwasser ziehen, um in die Sonne zu fliegen. Die Vorstellung aber, dass sich auch die Biografien so übertragen lassen, lässt schaudern und vielleicht hält es sogar das junge Publikum etwas auf Distanz.
Und was am Ende erschrecken soll, ist in der Provinz doch eher cooler Aussteigertraum. Veras „Endstation“ des absurd-wilden Vogelflugs soll absschreckend sein, ist es aber nicht. Fröhlich lässt sich Vera am Ende im Rollstuhl aus dem Club schieben, ein Liedchen auf den Lippen.Die einzige Szene in „Dur“ statt „Moll“. Und muss es den Lausitzer Teenies nicht als absolut erstrebenswert erscheinen, als DJ in einem Club zu arbeiten?
Im Dunkeln bleibt - so will es wohl der Autor - die Vorgeschichte der Mädchen. Warum werden sie zu Nestflüchtern der Gesellschaft, warum haben sie den Anschluß an die Gesellschaft verpasst?
In der anschließenden Nachbesprechung mit dem jungen Publikum wird dieses Ratlosigkeit sichtbar.
Fragen gibt es nicht etwa nach Angst, Verantwortung, nach dem Preis der Freiheit, sondern nach Oberflächlichkeiten: Rauchst Du auch im richtigen Leben? Ist es schwer, eine Cola auf Ex zu trinken?
Schwerer ist es sicher, eine jugendliche Sprache zu sprechen und gleichzeitig nachhaltig zum Nachdenken anzuregen. G.G.



Luise und Vera - zwei Mädchen geraten auf der Suche nach Anarchie und grenzenloser Selbstbestimmung in eine Freiheit, in der sie keinen Schutz mehr finden - vogelfrei
Foto: Marlies Kross
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