aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Romanze mit bösem Ende
Anmerkungen zu „Königskinder“ am Staatstheater

Cottbus. Humperdincks „Hänsel und Gretel“ kennt jedes Kind. Von den „Königskindern“ hingegen weiß man kaum; GMD Reinhard Petersen mußte auch Martin Schüler erst dazu überreden. Die wunderschöne Musik gefällt, das ganze Werk aber ist in seiner Gleichförmigkeit gewöhnungsbedürftig. Es fehlen die klanglichen Spannungsbögen. Eine Spieloper, die selbst im tragischen dritten Akt noch gefällig schmeichelt, jedenfalls all jenen, die das kaum enden wollende Vorspiel zu diesem letzten Akt nicht eingeschläfert hat. Wenigstens dort wären Striche förderlich, auch wenn Experten gerade da feinste Rafinessen genießen.
Die Geschichte ist etwas „akademischer“ als die volkstümlichen Hänsel-und-Gretel-Märchen, eben für erwachsene Bildungsbürger erzählt. Obgleich der Text singt: „Königsblut und Bettelblut sollen es nicht miteinander wagen“, geschieht’s doch: Ein Gänseliesel entzieht sich einer Hexenmutter, ein Königssohn will volksnah werden. Beide verlieben sich und scheitern in ihrem Ausscheren aus dem sozialen Rollensystem.
Weil das Stück aus der Salongesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt, sind einige ironisierende Elemente ins Bühnenbild gezaubert (große Wandbilder werden zu lebendigem Märchenhintergrund, Animation Wallat & Knauth), und einige Kunstkniffe aktualisieren den Volk-Herrscher-Konflikt. Zunächst wird das Märchen semiszenisch entrückt, also nicht im Hexenwald und Königshof gespielt, sondern im großbürgerlichen Salon in verteilten Rollen gelesen. Eine schrullige Gesellschaft genießt Schein als Sein und so manche wirklich bewundernswerte Darbietung. Die Geschichte aber geht nicht gut aus, weil die Königskinder nicht verstanden werden. Der dritte Akt tadelt: Das habt ihr davon! Immer wieder das Gleiche, so mußte es enden. Das Volk ist wieder zu dumm, seinen Messias zu erkennen. Der Salon ist nun Rest einer zerbombten Großstadtvilla, die Königskinder verhungern in den Trümmern. Die wilhelminische Kritik zerschellt mit dem Untergang des Dritten Reichs. Etwas viel für zwei lyrische Stunden, die von so herrlichem Gesang angefüllt sind. Die Überraschung ist die aus Nürnberg gastierende Evgenia Grekova als zunächst folgsame, aber doch auch selbsbewußte Gänsemagd von großer Natürlichkeit. Jens Klaus Wilde, der junge Salon-Offizier und hochdramatisch hinsterbende Jung-König bleibt mehr Märchenprinz als Kriegsheld, schon der Stimmlage wegen. Michael Junge dagegen gibt mit gewaltigem Organ und großer Gestik den Spielmann.
Jeder in der Salongesellschaft füllt seine Rolle lobenswert aus. Besondere Anerkennung verdienen die Kinder des Kinderchors (Einstudierung Peter Wingrich), die im Stück das zuversichtliche Moment verkörpern. Sie meistern ihre Aufgaben auch darstellerich bravourös. GMD Reinhard Petersen dirigiert seine Wunschoper vollkommen souverän, Martin Schüler hat der Geschichte spannende Momente gegeben und wunderschöne Figuren geschaffen, Gundula Martins Ausstattung würde Elsa Bernstein, die Textautorin, die selbst Salons unterhielt, gewiß begeistert haben.
Es gab, trotz schlecht besetzten Hauses, viel Premierenbeifall. Nächste Vorstellungen sind am 8., 19. und 30. April im Großen Haus.
J. Heinrich


Die „Königskinder“ Evgenia Grekova und Jens Klaus Wilde unter der Linde, die nur ein Blumentopf im großbürgerlichen Salon wilhelminischer Zeit ist
Foto: Marlies Kross

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