aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH
Wird das Cottbuser „Gesicht“ entsorgt?
Ein Beitrag zum Nachdenken von Prof. Günter Bayerl, Lehrstuhl Technikgeschichte an der BTU

Glanz und Elend: Müller und Ruff

Erneut könnte ein Stück Erinnerung an die traditionsreiche Textilstadt Cottbus verschwinden, vollständig und unwiederbringlich: Sollte das Fabrikantenwohnhaus des Färbers und Tuchmachers Wilhelm Ruff aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Ostrower Damm zum Abriß freigegeben werden.
Dabei erstrahlt nebenan die Tuchfabrik Müller im vollen Glanz erfolgreicher Sanierung. Neue Arbeitsplätze im angenehmen Ambiente renovierter historischer Substanz - eine Erfolgsgeschichte. Welche Krönung könnte es sein, das Ruff'sche Fabrikantenwohnhaus zu erhalten und so an Ort und Stelle die bauliche Entwicklungsgeschichte der Textilindustrie vom 18. ins frühe 20. Jahrhundert zu dokumentieren. Eine historische Kostbarkeit, auf die die Stadtführer vielleicht bald verzichten müssen.
Soll Cottbus noch vor seiner 850-Jahr-Feier von historischer Substanz entsorgt werden? Wird die 850-Jahr-Feier in Museum und Archiv verlegt? Erinnern lediglich Wanderausstellungen mit Bild- und Texttafeln an das alte Cottbus?
Zeit, einmal Bilanz zu ziehen:


Historische Schichten der Stadt
Die Bilanz ist also ambivalent. Gelungenen Sanierungen stehen Abrissen gegenüber, die die Alarmglocken schrillen lassen müßten. Denn die historische Substanz der Stadt Cottbus ist begrenzt und manche Bauwerke prägen das Antlitz der Stadt, sind „historisch unabkömm-lich“, wenn nicht die Identität der Stadt verloren gehen soll.
Die 850jährige Geschichte seit Ersterwähnung der Stadt 1156 spiegelt sich ohnehin nur in Bruchstücken im Baubestand wider. Um so notwendiger ist der gezielte Erhalt jener Erb-stücke, die für bestimmte historische Phasen der Stadt stehen, ganz spezifisch die Cottbuser Geschichte verkörpern und damit einen unwiederbringlichen Schatz der Stadt darstellen. So die Kloster- und Oberkirche für Mittelalter und Spätmittelalter, die Schloßkirche für den Einfluß der Hugenotten in der Stadt, die heutige Jugendherberge am Klosterplatz und das Lobedanhaus für das vorindustrielle Gewerbe des 18. Jahrhunderts, etc.
War Cottbus bis zu Beginn der Industrialisierung ein eher bescheidenes Ackerbürger-, Han-dels- und Gewerbestädtchen - von Guben, der bevölkerungsstärkeren „Perle der Niederlau-sitz“ in den Schatten gestellt, so gewann es in der Industrialisierung seinen prägnanten Charakter als Textilstadt. Dieses Erbe ist heute fast „flachgelegt“. Zwar zieht sich noch eine Kette von Fabriken die Spree entlang, doch wie lange noch?
Eine andere prägende Epoche der Stadtgeschichte, die derzeit entsorgt wird, ist das soziali-stische Cottbus. Mit der Stadtpromenade wurde Ende der 60er und in den 70er Jahren ein sozialistisches Zentrum errichtet, das die städtebaulichen Vorstellungen jener Zeit muster-gültig widerspiegelt. Die Sanierung der Wohnscheibe hat gezeigt, was mit gutem Willen auch für Sternchen und Pavillons möglich wäre: Erhalt und moderne Umnutzung. Das in seltener Geschlossenheit bewahrte Ensemble dürfte um so kostbarer werden, je mehr Plat-tenbauten abgerissen und DDR-Bausubstanz „entsorgt“ wird. Es ist zumindest fraglich, weshalb in unerschütterlicher Routine das „ECE-Theater“ derzeit von vorne beginnt, obwohl die Bürger deutlich ihre Meinung zu einem Einkaufs-zentrum gesagt haben, daß das Herz einer bedeutsamen Bauperiode zerstört. Gleich nebenan, an der Ecke Briesmann-/ Franz-Mehring-Straße, ist genügend Fläche, ist bereits historische Substanz vernichtet worden. Irgendwann mag so viel historische Substanz zerstört sein, daß die Stadt geschichts- und damit gesichtslos wird: Kaufhaus ja, aber dort, wo es hingehört!


Am Donnerstag begannen Abrißbagger ihr Werk an der Nordfront der ehemaligen Tuchfabrik Jürss & Elger in der Franz-Mehring-Straße (re.). Wird die Ruffsche Villa auf der anderen Straßenseite als nächste geschliffen?

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Wie denken Sie darüber?
Unsere Stadt wird umgebaut. Was steht ihr gut zu Gesicht? Und was ist wirtschaftlich machbar? Schreiben Sie uns Ihre Meinung zum Thema an: [email protected] oder
an CGA-Verlag, Postfach 100853, 03008 Cottbus.

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Wissenswertes zum Abriß:
Cottbus (GHZ). Die Stadt hat in einem Sanierungsplan festgelegt, welche noch bebauten Flächen zur Beräumung freigegeben werden sollen. Die Fabrik in der Franz-Mehring-Straße (großes Bild oben) ist darin ebenso enthalten wie die rückwärtigen Gebäude der Teppichfabrik in der Wernerstraße. Für die Flächen, die zum Modellstadtbereich gehören (hier die in der Wernerstraße) wird der Abriß als Ordnungsmaßnahme gewertet und zu 100 Prozent über Modellstadtmittel finanziert, mit nicht wertsteigernden Auswirkungen auf die Flächenpreise nach der Beräumung. Zur Zeit befindet sich der Sanierungsplan in Überarbeitung.

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