"Ganz
knallhart:
Ohne Antrag gibt´s kein Geld"
In
Cottbus knallen zur Hartz IV-Umsetzung
2 Verwaltungsstrukturen aufeinander
"Sie brauchen
keine Angst zu haben, die Kompetenzen fließen nicht ab, sondern
werden gebündelt, obwohl ab 1. Januar zwei Verwaltungsstrukturen
aufeinander knallen", erklärt Friedhelm Gissel, Leiter
des Cottbuser Sozialamtes. Eines der beiden "Verwaltungsstrukturen"
ist Gissels Sozialamt. Gemeinsam mit der Agentur für Arbeit
wird zur Zeit eine "Arbeitsgemeinschaft" ("Arge Jobcenter")
zur Bewältigung der Hartz IV-Aufgaben eingerichtet. Sie wird
ihren Sitz im jetzigen Arbeitsamt haben. "Trotzdem können
wir voneinander lernen", ergänzt Brigitta Kose, Teamleiterin
in der Arbeitsagentur. Zunächst 98 Mitarbeiter, darunter 42
aus dem Sozialamt, werden sich um die Menschen mit Arbeitslosengeld
II-Ansprüchen kümmern. Auf einen Sachbearbeiter werden
nicht mehr 800, sondern "nur" noch 100 Menschen kommen.
Das es funktioniert, daran hat auch Sozialdezernetin Christina Giesecke
keinen Zweifel: "Schließlich ist Cottbus mit seiner Freiwilligen
Agentur für Arbeit Vorreiter in Deutschland". Bereits
seit längerer Zeit werden im Technischen Rathaus Menschen gemeinsam
von Mitarbeitern des Sozialamtes und der Arbeits- agentur in Arbeit
gebracht. "Bereits 1 800 Leute fanden auf diese Weise eine
neue Tätigkeit", so Giesecke stolz. Doch bestehen massive
Zweifel, ob durch Hartz IV, was laut Gissel "nicht nur ein,
sondern 61 Gesetze darstellt", auch viele feste Arbeitsplätze
entstehen. Am wichtigsten erscheint dem Sozialamtschef, "daß
vor allem die Jugendlichen unter 25 Jahren in Arbeit oder Ausbildung
gebracht werden". Jedoch wird es "kaum direkte Arbeitsplätze
geben. Doch müssen wir die vielen Nischen nutzen, die durch
bestehende Arbeitsplätze nicht abgedeckt werden", erklärt
Christina Giesecke. Sie denkt dabei vor allem an Kindergärten,
ambulante Dienste und die Altenpflege. "Auf jeden Fall wird
es Jobs im Carl-Thiem-Klinikum geben", so die Sozialdezernentin
weiter. Gerade in der psychischen Betreuung kranker Menschen gäbe
es einen enormen Bedarf.
Doch bevor es Jobs und vor allem Geld gibt, müssen die "ungeliebten"
16-seitigen Anträge zu Hartz IV ausgefüllt werden. "Darin
sehe ich ein erhebliches Problem", sagt Brigitta Kose mit großen
Sorgenfalten auf der Stirn. Lediglich ein Drittel der Anträge
sei bislang in der Arbeitsagentur abgegeben worden. Die Sozialhilfeempfänger
sind da, so Friedhelm Gissel, "vorbildlicher: immerhin haben
wir schon einen Rücklauf von 44 Prozent". Eine gewisse
"Mitschuld" an diesen geringen Zahlen sieht Christina
Giesecke auch in den Montagsdemos: "Dort wird den Betroffenen
oft vorgegaukelt, daß Hartz IV komplett geändert wird
oder gar nicht erst kommt. Das ist ein fataler Irrtum". Brigitta
Kose ergänzt: "Viele schrecken vor dem Umfangreichtum
der Anträge zurück. Zudem müssen oft zahlreiche Formulare
nachgereicht werden. Um Anfang Januar pünktlich die 331 Euro
zu erhalten, müssen die Anträge schnellstmöglich
eingereicht werden. Denn, so Sozialamtsleiter Friedhelm Gissel:
"Ich muß es ganz knallhart sagen: ohne Antrag gibt es
definitiv kein Geld. Basta!"
Hintergrund
Die Hartz-Gesetze
gehen auf den 1941 im Saarland geborenen VW-Personalvorstandschef
Peter Hartz zurück. Seinen Namen trägt eine umfassende
Reform des Arbeits- marktes durch die rot-grüne Bundesregierung.
Unter der Leitung von Hartz ent-
wickelte eine Kommission Reformgrundsätze, die später
in die Gesetzespakete Hartz I bis IV einflossen. Sie beinhalten
unter anderem die Einführung der Personal-Service-Agenturen
und der sogenannten "Ich-AG´s". Zudem wurden die
Mini-Jobs massiv ausgeweitet. Den Agenturen kommt die Aufgabe zu,
Arbeitslose über eine Tätigkeit als Leiharbeiter wieder
in unbefristete Arbeitsverhältnisse zu bringen. Hartz II steht
unter anderem für den Umbau des Arbeitsamtes in die jetzige
Arbeitsagentur.
Am umstrittensten ist der letzte Teil der Arbeitsmarktreform: Hartz
IV. Damit erfolgt die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Hartz IV besteht aus 61 Einzelgesetzen und sollte ursprünglich
schon im Juli 2003 in Kraft treten. Jetzt wird die Regelung ab 1.
Januar 2005 gültig. Für Sozialhilfeempfänger ergeben
sich Leistungssteigerungen um bis zu 50 Euro, während zahlreiche
Arbeitslosenhilfeempfänger finanzielle Einbußen verzeichnen
werden.
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Trotz verbundener Hand kann Sozialamtschef Friedhelm Gissel die
Cottbuser beruhigen: "Nur in ganz wenigen Einzelfällen
müssen die Menschen ihre Wohnung wegen Hartz IV verlassen".
Ebenfalls zu Gast im PolitPIano: Sozialdezernentin Christina Giesecke
(r) und Brigitta Kose von der Arbeitsagentur |