aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH
Arbeitersohn & Generalsekretär
Franz Müntefering über die „alte Dame“ SPD und die deutsche Zukunft

PolitPianoPolitPiano Nr. 81

Moderation dieser Folge: G. GRUBE
                                       D. KETTLITZ

Textgestaltung: Torsten RICHTER

„Meine erste Reise als erster Generalsekretär der SPD führte mich in die Volksrepublik China, denn dort sind Generalsekretäre hoch angesehen“, flachste Franz Müntefering, SPD-Fraktionsvorsitzender und von 1999 bis 2002 Partei-Generalsekretär. Doch eigentlich ist der gebürtige Sauerländer stets ein bodenständiger Typ geblieben, denn „einmal Sauerländer heißt immer Sauerländer“. Über das Kino kam der Sohn eines Fabrikarbeiters zur Politik. In seiner sauerländischen Heimat gab es einen Kinobesitzer, der von der Gemeinde immer 100 oder 200 Mark erhielt, wenn er nur „saubere Filme“ spielte. Dagegen legte Müntefering Einspruch ein und gewann. Den Grund zum Eintritt in die SPD bildete der Umstand, daß diese Partei in Nordrhein-Westfalen den Arbeiterkindern die gleichen Bildungschancen einräumte. Als Müntefering 1975 in den Bundestag einzog, stellte er sich auch beim SPD-Urgestein Herbert Wehner vor und erzählte diesem, „wie die gesamte Politik in Deutschland weitergehen müßte“. Wehner sagte damals vorausschauend zu Franz Münterfering: „paß´auf, daß du nicht austrocknest“ und meinte damit, daß ein „Ausgetrockneter“ nichts mehr bewegen könnte. Als Mitte der sechziger Jahre die SPD zunächst in der großen Koalition mit der CDU an die Macht gelangte, war für Müntefering „alles gut“. Als den größten Parteifehler der siebziger Jahre sieht der Politiker die verpaßte SPD-Chance, die größer werdende ökologische Bewegung in die Partei aufzunehmen. Franz Müntefering wollte verändern und zog Mitte 1999 aus dem beschaulichen Nordrhein-Westfalen nach Berlin. „Wo wir sind, ist die Mitte“, sagt Franz Müntefering mit Nachdruck. Schließlich wurde „die SPD für eine gute Politik gegründet“. Und weiter: „es ist nicht unser Hauptanliegen, uns von anderen Parteien zu unterscheiden“. Den Vorschlag Oskar Lafontaines zur Fusion der Ost-SPD mit der PDS kommentierte Müntefering drastisch: „der muß wohl besoffen gewesen sein“. Kaum weniger besorgniserregend dürfte der diesjährige Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit sein. Müntefering betonte zwar, daß „kein anderes Land solche Aufgaben zu bewältigen hatte, verwies aber auf viele Fehler, „die besonders in den Anfangsjahren gemacht wurden“. Konkret meinte er die Eingentumsverhältnisse und „das vieles sehr schnell aufgegeben wurde, was nicht mehr aufgebaut werden konnte“. Der SPD-.Fraktionsvorsitzende betonte, „daß sich die Dinge in allen Teilen Deutschlands unterschiedlich ent wickeln“. So gäbe es auch im Sauerland im Vergleich zu Köln oder Dortmund nur 80 Prozent der Großstadtlöhne. Des weiteren sind die „Lokomotiven, die Kerne, welche ziehen, in Ostdeutschland noch nicht stark genug“.
Angesprochen auf das Finanzdesaster der Kommunen nicht nur in den neuen Ländern verwies Müntefering auf die Gemeindefinanzreform, die den Kommunen „nachhaltig mehr Geld einräumen soll“. Wohlwollend nahm die anwesende Cottbuser Oberbürgermeisterin Karin Rätzel die Äußerung Franz Münteferings auf, daß 2004 den Kommunen 4,4 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen sollen. Neben den Finanzen ist Müntefering besonders die Bildungspolitik ans Herz gewachsen, denn „Die Bildungsfrage ist die Zukunftsfrage unseres Landes“. Bereits die Erziehung der Kleinsten in der Krippe sei von eminenter Bedeutung. „Bei Herrn Stoiber hat Krippe nur etwas mit Weihnachten zu tun, jedoch ist die Arbeit einer Erzieherin genauso hoch anzusetzen wie das Tätigkeitsfeld eines Professors vor Studenten“.
Am Ende gewann Franz Müntefering die Sympathie aller anwesenden Gäste. Er gab zu, daß er sich als Sauerländer längst in die Lausitz verliebt hat, denn „richtig gut geht es mir nur in Cottbus“.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering zu Gast beim Moderatorenpaar Denis Kettlitz und Gabi Grube.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering zu Gast beim Moderatorenpaar Denis Kettlitz und Gabi Grube. Letztere konnte im Vergleich zu Münteferings einstiger Haarpracht gar nicht mithalten: „ich hatte mal längere Haare als Sie, Frau Grube“

Franz Münterfering
„In den nächsten Jahren müssen sich die Bürger auf die Sicherung der Sozialsysteme sowie des Wohlstandes einrichten“, erklärt Franz Münterfering

Sänger Torsten Karow und sein Pianist Ilja PanzerSängerin Claudia Lattacz und Sänger sowie Gitarrist Torsten Karow
Sängerin Claudia Lattacz und Sänger sowie Gitarrist Torsten Karow eroberten mit ihren Songs auch den Geschmack von Beethoven-Liebhaber Franz Müntefering: „Sie machen das sehr gut“

Fotos: J.H.

Hintergrund:

Franz Müntefering wurde am 16. Januar 1940 im sauerländischen Neheim geboren. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierete er von 1954 bis 1957 eine Lehre als Industriekaufmann. Seit 1966 ist Müntefering SPD-Mitglied. 1975 zog er in den Bundestag ein. Von 1992 bis 1995 war Franz Müntefering als Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen tätig. Nach der Wahl 1998 wurde er Bundesverkehrsminister. Von 1999 bis 2002 amtierte Müntefering als SPD-Generalsekretär. Im Oktober 2002 übernahm er den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion.
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