aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Gewitterwolken über den Schulen
Steffen Reiche: Minister und Tischler mit zwei linken Händen

Gewitterstimmung liegt in der Luft. Kein Vogel singt mehr: Die Ruhe vor dem Sturm. Gespannt ist die Stimmung im Hof der Wernerpassage. Gespannt auf den Moment, als die blaugraue bayrische Limousine mit Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche auf den Hof rollt.
Er besitze ein "echtes Ostheitszertifikat", verkündet der gebürtige Potsdamer. Steffen Reiche selbst bezeichnet sich als einen "durchmischten" Schüler mit "vielen schönen Erlebnissen". "Durchwachsen" zeigt sich sein beruflicher Werdegang: das Theologiestudium brach er ab und zog danach in den Berliner "Prenzelberg" zum Handwerksmeister Kay. Bei diesem Bühnenmacher der Komischen Oper gefiel es dem späteren Minister sehr, konnte er doch die Behauptung seines Vaters widerlegen, welcher der Ansicht war, daß sein Sohn "zwei linke Hände" hätte. Steffen Reiches Herz jedoch "schlägt auch heute noch links". Jetzt als Bildungsminister besitzt er alle Möglichkeiten, "für die Schulen mehr zu machen, anstatt als Handwerker für Schulen Tische zu bauen".
Der einstige "Fast-Theologe" und Handwerker Steffen Reiche gehörte am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, zu den Mitbegründern der SDP, der Sozialdemokratischen Partei der DDR. "Nicht in der Kneipe, sondern im Pfarrhaus wurde unsere Partei gegründet", stellte Reiche klar.
Bereits 1990 sollte Steffen Reiche Bildungsminister werden, doch ein Koalitionspartner der damaligen "Brandenburger Ampel" bestand auf dieses Ministerium. Das war übrigens das einzige Mal, daß Reiche den damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe in "totaler Rage" erlebte, angesichts des Ungemachs des erwähnten Koalitionspartners. Von 1994 bis 1999 fungierte Steffen Reiche als Wissenschaftsminister, wobei er dabei den Auf- und Umbau der Hochschulen mit dem "modernsten Hochschulgesetz" in Brandenburg als herausragendsten Erfolg ansieht. Er bedauert jedoch, daß das Cottbuser Ballett nicht erhalten werden konnte, was ihm die Einwohnerschaft "sehr übel" nahm. Steffen Reiche räumte weitere Fehler seiner Amtszeit als Wissenschaftsminister ein. So wurde unter seiner Obhut, obwohl "Zukunftsaufgabe", die Lehrerbildung sträflich vernachläßigt.
Nach der Landtagswahl 1999 erhielt der neue Koalitionspartner CDU das Wissenschaftsministerium, und Steffen Reiche fungierte zum Bildungsminister.
Am Jahresende 2001 wurde er mit den Resultaten der PISA-Studie konfrontiert. Reiches Koordinator brachte ihm das Ergebnis schonend bei: "Brandenburg liegt nicht so gut". Einen möglichen Grund sieht Bildungsminister Reiche in den "Schülerbildungsbiographien im Umbruch". Da die Studie 1999 entstand, wuchs die Schülerschaft mit den Prozessen der Wende, des neuen Schulsystems und der neuen Lerninhalte auf. Zudem wurden Fehler vom Partnerland Nordrhein-Westfalen übernommen: "Wo wir nicht auf sie hätten hören sollen, haben wir auf sie gehört", so Steffen Reiche. Die PISA-Studie betrachtet der Minister als einen "Schock, einen Dammbruch, der uns alle weggeweht hat".
"Der schlafende Riese der Schule sind die Eltern", ist sich Reiche sicher und "Lehrer können niemals Eltern ersetzen". Jedoch sollen die Eltern stärker in schulische Belange einbezogen werden. So empfiehlt der Minister, denn er kann es ja nicht mehr "wie Margot Honecker verordnen", Elternversammlungen zur Pflicht zu erheben. Zudem soll den Schulen mehr Verantwortung übertragen werden. Die Kontrolle erfolgt dann mit wiedereingeführten Prüfungen nach der 10. Klasse.
Das Wohl und Weh' der Jugend ist von einer guten Bildung abhängig, denn schließlich "müssen wir das Geld, das wir im Bildungsministerium einsparen, später im Strafvollzug wieder ausgeben", gab Musiker Torsten Karow in der Diskussionsrunde, kurz vor demGewitter, zu bedenken.

Bildungsminister Steffen Reiche zum PolitPiano
Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche auf dem "Freiluftpodest" mit Gabi Grube und Denis Kettlitz setzt sich auch engagiert für ein gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg ein: "Liebe Cottbuser, wir brauchen das gemeinsame Land, denn dann sparen wir die Diäten von über 100 Abgeordneten ein. Ist das ein Angebot?"
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